Mai 2009 www.initiative.cc
Die Rückkehr der Ackergifte
Quelle dieses Artikels: Umweltinstitut München e.V. : http://umweltinstitut.org/lebensmittel/pestizidruckstande-in-lebensmitteln/rueckkehr_der_ackergifte-640.html
Agrarindustrie,
Agro-Kraftstoffe und Nahrungsmittelkrise
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„Die Pflanzenschutz-Industrie in Deutschland blickt auf ein gutes Geschäftsjahr zurück“, freute sich unlängst der Hauptgeschäftsführer der in Deutschland ansässigen Hersteller und Vertreiber von Pestiziden und Düngemittel (IVA) auf der Jahrespressekonferenz des Verbandes. Der Inlandsumsatz der IVA-Mitgliedsfirmen stieg 2007 gegenüber dem Vorjahr um fast 11 Prozent auf 1,23 Milliarden Euro.1 Und auch weltweit wird die chemische Keule hemmungslos geschwungen. Global wurden im Jahr 2007 Pestizide im Wert von rund 33,2 Milliarden Dollar verkauft, 7,8 Prozent mehr als 2006. Die Pestizidumsätze der weltgrößten Agrochemie-Konzerne stiegen in diesem Zeitraum zwischen 8 und 15 Prozent (siehe Kasten).
Die agrochemische Industrie ist hochkonzentriert. Sechs Firmen dominieren mit einem gemeinsamen Marktanteil von über 80 Prozent den weltweiten Pestizidmarkt. Ganz vorn dabei die beiden deutschen Konzerne Bayer und BASF, die ein Drittel des Geschäfts mit den Ackergiften unter sich ausmachen. Umsätze der TOP-6 auf dem Pestizid-Weltmarkt8
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Hoher
Spaßfaktor
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„Das Geschäft
mit Pestiziden macht wieder Spaß", findet auch Hans Theo Jachmann, Deutschland-Chef
von Syngenta, der weltweiten Nummer 2 des Pestizidmarktes, in der Tageszeitung
„Die Welt“. Allein im ersten Quartal 2008 wuchsen die Umsätze mit Pestiziden
bei Syngenta um 22 Prozent. Laut Jachmann sind neue Pestizidfabriken schon
in Planung.2 Auch Konkurrent Monsanto profitiert von der „Erfolgsstory“.
Gut 8,6 Milliarden Dollar hat der US-Agrarkonzern im vergangenen Geschäftsjahr
mit Saatgut und Pestiziden umgesetzt. Allein im zweiten Quartal 2008 stieg
der Umsatz um 45 Prozent auf 3,8 Mrd. Dollar. Auch der Weltmarkt für Kunstdünger
wächst seit einiger Zeit stark an. So stieg die globale Nachfrage nach Düngemitteln
2006/07 laut IVA um knapp fünf Prozent auf 164 Millionen Tonnen. Die stärksten
Zuwächse gibt es in Asien, Lateinamerika und - aufgrund des Maisethanol-Booms
- in den USA.
Agrarwende
- da war doch was ?
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Angesichts
der agrarpolitischen Weichenstellungen der letzten Jahre und Jahrzehnte
mag diese Entwicklung auf den ersten Blick erstaunen. „Klasse statt Masse“,
Steigerung des Anteils ökologisch bewirtschafteter Flächen und Extensivierung
waren prägende Vokabeln der jüngeren Zeit.
Nun ist offenbar ein globaler Kurswechsel zu verzeichnen. Dieser speist
sich aus falschen Reaktionen auf die gescheiterten Rezepte der agroindustriellen
Bewirtschaftung und dem Kurzschluss, dass angesichts des weltweiten Drucks
auf landwirtschaftliche Flächen (aufgrund von Agrar-Kraftstoffen, Getreideengpässen,
Nahrungsmittelkrise...) jetzt noch mehr Pestizide und Kunstdünger als bisher
auf die Felder geschüttet werden müssen. Zum Wachstum des Pestizidweltmarktes
in jüngerer Zeit haben laut Industrieangaben auch Lateinamerika und der
dortige Boom beim Anbau von Gen-Soja sowie die massive Ausweitung von Zuckerrohr-Monokulturen
für die Agrarsprit-Produktion beigetragen: „Die hohen Sojapreise und die
starke Nachfrage nach Mais und Zuckerrohr für die Bioethanolerzeugung waren
für die Landwirte ein Anreiz, ihre Ernteerträge durch sorgfältigen Pflanzenschutz
zu optimieren“, so der IVA. Im Geschäftsbericht des Bayer-Konzerns für 2007
heißt es: „Insgesamt profitierte das Pflanzenschutzgeschäft von den positiven
Rahmenbedingungen auf den Weltagrarmärkten, die insbesondere durch gestiegene
Preise für landwirtschaftliche Grunderzeugnisse, einen verstärkten Anbau
von Pflanzen zur Herstellung von Biokraftstoffen sowie ein verbessertes
Marktumfeld in Lateinamerika gekennzeichnet waren.3 Dennoch ist
es wenig hilfreich, mit dem Zeigefinger auf diese Regionen zu zeigen. Denn
gemessen an der zur Verfügung stehenden landwirtschaftlichen Nutzfläche
wird in Europa mit Abstand am meisten Gift auf den Äckern verteilt. 6,1
Mrd. US-$, das heißt rund ein Viertel der weltweiten Umsätze bei Pestiziden
werden in der EU erzielt (siehe Kasten: Wo wird am meisten gespritzt?).
Dabei verfügt Europa nur über weniger als sieben Prozent der global verfügbaren
Ackerfläche von rund 1,5 Mrd. Hektar. Damit übertrumpft sie selbst die NAFTA-Staaten
(USA, Kanada, Mexiko). Dort werden zwar ähnlich hohe Pestizidumsätze erzielt:
Allerdings verfügen die NAFTA-Staaten über 2,5 mal mehr Ackerfläche wie
die EU-Staaten.
Wo
wird am meisten gespritzt ? 9
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In
den 27 Mitgliedsstaaten der EU wurde im vergangenen Jahr mit Pestiziden
ein Umsatz von 6,1 Milliarden Euro erzielt. Das entspricht einem weltweiten
Marktanteil von 25 Prozent. Besonders in Osteuropa (+ 40 Prozent)
ist der Pestizidmarkt 2007 stark gewachsen.
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Agrarproduktion
am Optimum
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Offenbar
gibt die Pestizidbranche nach Jahren des Schmuddelkind-Images jetzt global
Vollgas. Für den IVA und seinen Präsidenten, Syngentachef Jachmann, steht
schon fest, wie die Landwirtschaft der Zukunft aussehen muss: „Agrarproduktion
am Optimum ist das Gebot der Stunde“. Nur so können laut dem Industrie-Lobbyisten
hochwertige Nahrungs- und Futtermittel sowie Bioenergie auf knapper Fläche
in ausreichender Menge bereitgestellt werden. Jachmann zufolge ist angesichts
zunehmender Knappheiten der pflanzenbaulich optimale Einsatz von Betriebsmitteln
anstelle einer Verringerung der Intensität gefragt. Auch die Deutsche Landwirtschafts-Gesellschaft
(DLG) stellt im Verbund mit dem Bund Deutscher Pflanzenzüchter (BDP) und
dem IVA fest: „Um den weltweit steigenden Bedarf an Rohstoffen vom Acker
zu decken, muss der knappste aller Produktionsfaktoren - die Fläche - effizienter
als bisher genutzt werden. Die dazu notwendige Ertragssteigerung setze voraus,
dass „bestens ausgebildete Landwirte auf innovative Pflanzensorten, bedarfsgerechte
Düngemittel sowie maßgeschneiderte Lösungen im Pflanzenschutz zurückgreifen
können.“ Für die Anwendung moderner Agrartechnologien und ihre Fortentwicklung
müssten allerdings politische Rahmenbedingungen geschaffen werden, die moderne
Agrartechnologien und deren gesellschaftliche Akzeptanz förderten, so IVA-Präsident
Jachmann. Er spricht in diesem Zusammenhang von einer „Blockade-Politik“
in der Gentechnik und im Pflanzenschutz und kritisiert insbesondere die
derzeit auf europäischer Ebene diskutierte Pflanzenschutz-Novelle.4
Risiken
für Mensch und Umwelt
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Denn in Zukunft sollen den neuen EU-Regeln zufolge Stoffe, die erwiesenermaßen krebserregend, erbgutverändernd oder reproduktionstoxisch sind, nicht mehr zugelassen werden. Doch entgegen aller Kassandrarufe der Chemie- und Agrarindustrie, dass durch die neuen EU-Regelungen die Mehrheit der Pestizide wegfallen würde, sind von diesen Verboten jedoch nur wenige Wirkstoffe betroffen. Wie notwendig allerdings strikte Ausschlusskriterien für Pestizide wären, zeigte dabei eine Studie der Umweltorganisation Greenpeace. In der im Juni 2008 publizierten Untersuchung überprüfte Greenpeace die Pestizid-Palette der führenden Agrochemiekonzerne Bayer, Syngenta, Monsanto, BASF und Dow auf deren Gefahreneigenschaften für Menschen und Umwelt. Alle fünf Unternehmen verkaufen demnach große Mengen hoch gefährlicher Pestizide und setzen Gesundheit und Umwelt erheblichen Risiken aus. 243 der insgesamt 512 untersuchten Wirkstoffe werden als „besonders kritisch“ eingeschätzt und stehen deshalb auf einer so genannten „Schwarzen Liste“. Den höchsten Sortimentsanteil von für Mensch und Umwelt besonders schädlichen Pestiziden führt übrigens mit 60 Prozent der US-Agrarkonzern Monsanto. Die Pestizid-Palette von Bayer und BASF beinhaltet jeweils ca. 50 Prozent besonders kritische Wirkstoffe (Bayer 53 Prozent, BASF 48 Prozent).5
Die
Ewiggestrigen von der Agrochemie
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Lautstärke
allein macht aus Weisheiten aus der Mottenkiste keine Wahrheiten für die
immensen und in der Tat schwer zu lösenden Probleme der weltweiten Agrarproduktion.
Denn tatsächlich wirken die Rezepte, die von der Agroindustrie nun wieder
als ultima ratio zur Errettung der Welt von Spritmangel, Hunger und hohen
Lebensmittelpreisen propagiert werden, angesichts des heutigen wissenschaftlichen
Diskurses steinzeitlich. Wie nachhaltige und zukunftsfähige Landwirtschaft
aussehen müsste, hat dagegen im Jahr 2008 der Welt-Agrarrat, ein von den
Vereinten Nationen eingesetztes Gremium von über 400 Wissenschaftlern aus
50 Ländern skizziert. Die Agrarforscher kommen zu dem keineswegs überraschenden
Ergebnis, dass nicht pestizidbasierte Intensiv-Landwirtschaft und deren
Fortschreibung durch die Agro-Gentechnik die Zukunft der Landwirtschaft
sein können. Stattdessen empfehlen die Experten regionale Wirtschaftskreisläufe,
organische statt chemische Düngung sowie Anbausysteme, die im Gegensatz
zur Pestizid-Landwirtschaft keine gesellschaftlichen Folgekosten wie kontaminiertes
Grundwasser, Artensterben und Bodenerosion produzieren.6 Die
Agro-Konzerne, die zu Beginn noch an dem Projekt mitgewirkt hatten, zogen
sich angesichts dieser für sie schockierenden Ergebnisse schon bald beleidigt
zurück. Hans Herren, einer der Hauptautoren des Berichts der Agrarforscher,
beklagte öffentlich die Verweigerungshaltung der Agro-Konzerne. Niemand
sei so rasch und umfassend aus der Arbeit an dem Bericht ausgestiegen wie
die „Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Agrarchemie-, der Bio-
und Gentechnologie-Konzerne“, so Herren im Gespräch mit der Zeitschrift
GiD.7
In schöner Klarheit zeigt sich anhand des Weltagrarberichts, wie wenig den
Agrarkonzernen an einer Lösung der Probleme der Landwirtschaft gelegen ist
und wie viel an der Maximierung der eigenen Profite. Denn die Aktionäre
freut die rege Verkaufstätigkeit auf dem Pestizidmarkt offenbar: Die Aktien
von Monsanto, Syngenta oder Bayer gewannen im Jahr 2007 jedenfalls deutlich
an Wert.
Andreas Bauer, Sarah Gröger, Juli 2008
Foto: usda.gov.
1Industrieverband
Agrar (IVA), Jahresbericht 2007
2www.welt.de/welt_print/article1960895/Gift_gegen_den_Hunger.html
3www.geschaeftsbericht2007.bayer.de/de/bayer_geschaeftsbericht_2007.pdfx
4www.dlg-feldtage.de
5www.greenpeace.de/.../die_giftigen_pestizidpaletten_der_agrochemiekonzerne/
6www.agassessment.org
7www.gen-ethisches-netzwerk.de/...man-kann-potenzial-nicht-essen
8AGROW Nr. 539, 14.3.2008, www.pan-germany.org/deu/~news-743.html
9Industrieverband Agrar (IVA), Jahresbericht 2007
Quelle
dieses Artikels: Umweltinstitut München e.V, Landwehrstr. 64 a, D-80336
München.
:
http://umweltinstitut.org/lebensmittel/pestizidruckstande-in-lebensmitteln/rueckkehr_der_ackergifte-640.html
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