Februar 2007 www.initiative.cc
Deutschland
aus
der Sicht eines Afrikaners !
Die Briefe des Lukanga Mukara sind eine Kulturkritik ganz besonderer
Art, denn in ihnen schildert der Diener am Hofe des Königs Ruoma im Lande
Kitara (an der Grenze von Uganda zum Kongo gelegen) seine Eindrücke,
die er im Zuge seiner Forschungsreise ins Innerste Deutschlands im Jahre 1912
sammeln durfte. Seine Beobachtungsgabe, die Klarheit seines Blicks und die
Nacktheit seines Urteils vermitteln uns eine neue Sicht auf viele Dinge, die
uns als gegeben, gut und normal erscheinen.
Die Briefe wurden vor dem Ersten Weltkrieg in der Zeitschrift "Der Vortrupp"
vom Quergeist, Provokateur, Lebensreformer, Pazifist, Afrikareisenden und
"Weltverbesserer" Hans Paasche (1881-1922) veröffentlicht und
erregten damals großes - nicht unbedingt zustimmendes - öffentliches
Aufsehen!
Keinesfalls wollen wir durch die Veröffentlichung dieser Briefe die deutsche Kultur verspotten oder jene Kitaras verherrlichen. Wir finden aber, dass die insgesamt neun Briefe Lukangas einen unvergleichlich wertvollen Schatz darstellen, aus dem wir in heutiger Zeit Vieles und Wesentliches lernen können, indem wir die Errungenschaften unser westlichen Zivilisation einmal durch die Augen eines Menschen betrachten, der nicht an "Betriebsblindheit" leidet.
Einen Link zu den anderen Briefen finden Sie siehe am Ende dieses Artikels
Der
neunte Brief
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Der 9. Brief
Lukanga auf dem Hohen Meißner.
Birkhain, den 15. Oktober 1913.
Mukama, Herr der Rinder!
Seit drei Monden bin ich wieder in einer Einsamkeit und lebe auf einem Berge und in einem Walde. Hier traf mich beides: Regen und Sonne; beides: Kälte und Wärme; beides: Leid und Freude, bis endlich die Freude größer war, und das war in den letzten Tagen. Es kamen da die, welche mich lehrten, daß es eine große Hoffnung gibt in dem Volke der Wasungu (Europäer). Von ihnen will ich Dir jetzt erzählen.
Als ich zum Bergwald zog, war die Zeit der Kornernte, dann begann der Gras- und Kräuterschnitt, und als der Mond wiederkehrte, gruben die Bauern die Knollen aus der Erde und pflückten die Früchte. Da war es eines Morgens. Ich hatte die wilden Horntiere belauscht, die in dem Wald brüllten, weil die Zeit ihrer Zeugung war, und ich hatte an Weisheit zugenommen, denn auch in diesem Lande sind die Tiere die einzigen Lehrmeister des Menschen. Nun legte ich mich in meiner Grashütte am Bergbache zur Ruhe. Da hörte ich unten am Wege Stimmen und erkannte in einem Rudel junger Wasungu einen Bekannten, den Mann vom Stamme der Korongo. Ich schnürte mein Bündel und eilte den Wanderern nach. Ich ergriff die Hand des Korongo. Er freute sich, und alle waren gut zu mir, die Knaben und die Mädchen. Denn auch Mädchen waren darunter, und ich sah, daß diese schön waren. Gehen konnten sie und springen; sprechen, lachen und singen. Sie hatten kein Leibgerüst und keine Zwangsschuhe. Sie trugen keine Steißfedern wilder Tiere auf dem Kopfe. Ihr eigenes Haar hing in goldenen Flechten über den Rücken, und Kränze roter Beeren schmückten die Köpfe. Als Lukanga das alles sah, war er froh und folgte ihnen, wohin sie gingen: den Berg hinab und wieder auf einen andern Berg hinauf, wo ein alter Häuptlingssitz emporragte .(Burg Hanstein)
Hier kamen
viele Jünglinge und Mädchen zusammen. Sie setzten sich nieder.
Einer sprach, und die andern hörten zu, was der Sprecher sagte.
Mukama, als ich selbst es hörte, wußte ich Neues. Ich wußte,
daß es Schlechtes gibt, von dem sich dies Volk befreien kann. Und
ich sah, daß die Wasungu (Europäer) Kinder haben, die Großes
leisten werden.
Da stand ein Sungu (Europäer) auf und sagte: "Wir wollen, daß jeder Sungu
Land habe, und hassen es, daß viele beisammen wohnen. Nur wer Land
hat und eine Vaterhütte, hat eine Heimat und kann für das Volkland
kämpfen." Und alle riefen laut, als Zeichen, daß auch sie
das wollten, so, wie er es sagte.
Da sagte ein anderer: "Wir wollen uns freuen über unser Volk,
was es kann und was es ist, und wollen zusammenhalten, weil wir Kinder eines
Volkes sind. Wir sprechen alle dieselbe Sprache, wir kennen gemeinsame Taten
der Väter; so tun wir denn, was wir tun, als Glieder eines Volkes:
wir sind Wasungu." Wenn Du, Mukama, nun denkst, ich hätte nicht
mitgerufen, als ich das hörte, dann irrst Du dich. Ich erkannte, daß
es göttlich ist, wenn jedes Volk seine eigene Größe hat.
Es sprachen
aber auch welche, die es anders wollten als diese alle. Sie sagten: "Wir
wollen eine Unterschied machen zwischen Jungen und Alten: die Jungen sind
nämlich klug, die Alten dumm. Wir wollen niemand gehorchen und jeden,
der für sein Volk etwas tut, auslachen. Wir wollen nämlich nur
an uns denken. Denken und Jungsein allein genügt." Da riefen nur
einige, die andern sagten: "Was du sagst, kannst du selbst wollen;
wir aber wollen es nicht, wir wollen das andere." Und das war gut,
denn dies ist nämlich der alte Fehler der Wasungu: Immer wieder hat
es bei ihnen welche gegeben, die das Gute vor sich sahen. Weil aber mehrere
Wege hinführten, haben sie sich erst untereinander gestritten, welcher
Weg der beste sei. Und das haben sie ganz gründlich gemacht und haben
dabei viel in sich hineingegossen, bis sie überhaupt keine Lust mehr
hatten, nach dem Guten hinzugehen, und andere Völker sich das Gute
nahmen.
Es sprach dann ein erfahrener Mann, den alle kannten, weil er viel gedacht
hat und es den andern geschrieben, wenn er etwas gefunden hatte (Das
war Ferdinand Avenarius)
Er sagte: "Wir wollen dafür sein, daß jeder Sungu die Sachen sagt, wie sie sind, und nicht, wie sie nicht sind. Wir wollen auch, daß jeder, der falsche Sachen sagt, ein schlechter Mensch genannt werde." Und alle riefen laut.
Dann sagte wieder einer: "Wir haben eigene Lieder, die wollen wir singen, und Reigen, die wollen wir springen, und wenn wir das tun, wollen wir in das Land hinausgehen, von einem Berg zum andern und uns freuen. Wir wollen aber vorbeigehen an allen Orten, wo Schlucker sitzen und Lärm hören, denn da ist alles beisammen, was nicht Art echter Wasungu (Europäer) ist: Schlucken und Hineingießen und Rauchblasen und Mädchen mit Haaren anderer Menschen und mit Steißfedern wilder Tiere."
Da riefen alle laut, und einer trat vor und sagte: "Ja, das ist es. Wir wollen überhaupt nicht mehr Rauch machen und hineingießen. Unser Atem soll nicht stinken, und unser Schluck soll nicht rülpsen, dann werden wir auch immer rein und jung bleiben, und unser ganzes Volk wird klug und stark sein, und die ganze Welt wird es an unserer Schönheit und an unsern Taten sehen, daß wir die Wasungu sind." Jetzt schrie die ganze Menge einen lauten Ruf.
Mukama,
ich war Zeuge eines gewaltigen Feuers, das in den Herzen edler Menschen
abbrannte.
Diese jungen Menschen riefen Freude, weil es ihnen erlaubt sein sollte,
täglich etwas für ihr Volk und Land zu tun. Ich fühlte dies:
Die Wasungu werden jetzt sehr groß werden, weil die Zeit der Mästlinge
sehr klein werden wird.
Sie sprachen noch viel, und einer nach dem andern trat vor. Ein jeder erschien
mir schöner als der andere, und jede Stimme entzückte mich. Ich
dachte zwei Gedanken: Achtzehn Monde wohnte ich in Kitara und sah den neuen
Berg entstehen, der glühend aus der Erde quoll. (Kitara
ist ein Land mit Vulkanen, die noch tätig sind.)
Hans
Paasche 1881-1922
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Ebensolange bin ich im Lande der Wasungu (Europäer) und sehe jetzt das neue Volk entstehen, auf dem Berge, bei den Wäldern.
Als es
Nacht war, gingen alle, und auch die Korongo, den Berg hinab und wanderten
bis in die Mitternacht. Und ich folgte ihnen. Sie gingen aber und sangen,
und einer spielte dazu auf dem Fadenholz. Sie sangen von Blumen und Tieren,
von Knaben und Mädchen, von Kampf und Liebe und Volkland.
Am Morgen stiegen sie früh auf einen andern Berg hinauf. Es ist nämlich
ein Gesetz dieser jungen Wasungu, daß niemand weitersprechen darf,
wo er schon einen Tag gesprochen hat. Sie wissen, daß die Gedanken
des Menschen rein werden durch weiten Weg. Deshalb gehen sie auf einen andern
Berg, bevor sie weitersprechen.
Die Jahreszeit
war kalt. Wir aber wurden beim Gehen warm und badeten im Bergbache, unter
hohen Bäumen. Dann gingen wir auf eine Wiese und fanden Menschen da,
soviel wie Gras.
Sie sprachen im Kreis und faßten sich an den Händen, sie sangen
und tanzten. Sie tanzten mit nackten Füßen, wie wir es tun in
Kitara. Und obwohl sie bekleidet waren, waren sie schön; denn ihre
Kleider waren anders als die anderer Wasungu. So war ich froh bei ihnen
bis zum Abend. Da brannten sie ein hohes Feuer an und sangen. Dann schwiegen
alle, und einer stand am Feuer und sprach die Sprache der Wasungu (
Knut Ahlborn). Rundum war Nacht, und der Mond schien und die
Sterne. Um den Berg aber lag das Land, dessen Feuer hier oben brannte.
Ich sah die Gestalten von jungen Männern und Mädchen. Ich sah ihre Augen und Feuerglanz darin. Ich sah, als Fremder, die Zukunft eines Menschenvolkes.
Da sangen
tausend Stimmen das Lied: "Groß ist uns das Land der Wasungu."
Ein Wind wehte die Flamme hoch. Ich aber beugte den Kopf und weinte.
Großer König. Du sandtest aus Deinen Diener Lukanga Mukara Ende
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