Dezember 2007 www.initiative.cc
Sinn
statt Sucht:
Wie Schule wieder begeistern kann
Nach einem lichtvollen Nahtoderlebnis begann der Realschullehrer Fritz Jordi nach dem Sinn des Lebens zu forschen. Seine Erkenntnisse führten ihn zu einer neuen Art des Unterrichtens: Er begann, in den Schülern Neugierde, Vertrauen und Liebe zum Leben zu wecken und sie zu einem neuen Verantwortungsbewußtsein zu führen. Ganz nebenbei erwies sich dies auch noch als wirksamste Sucht- und Gewaltprävention.
SINN
- VOLLE Schule
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Aus der Zeitenschrift Nr. 56 - Von Sandra Walter-Wyss
Er war nicht nur Lehrer, sondern auch begeisterter Flieger: Als IKRK-Pilot flog Fritz Jordi in Nepal und hat Aufenthalte in Ostafrika, Peru, Kanada und den USA hinter sich. In Wirklichkeit hatte er zwei Berufe: Oberstufenlehrer und Fluglehrer. Am Abend nach der Schule und am Wochenende war er immer am Fliegen, bildete Flugschüler aus und machte ausgedehnte Rundflüge. Daneben zog er zusammen mit seiner Frau vier Kinder groß. Zeit, um sich mit der Frage nach dem Sinn unseres Daseins zu beschäftigen, hatte Fritz Jordi, der bis zu seiner Pensionierung in Kloten bei Zürich unterrichtete und noch heute dort wohnt, deshalb keine, wie er mir in unserem Gespräch mitteilt. Seine Frau, ja, sie habe sich mit der Sinnfrage zu beschäftigen begonnen, er hingegen sei diesem Thema immer ausgewichen voll ausgefüllt war ja sein Leben. Dies änderte sich jedoch schlagartig, als Fritz Jordi beim Kunstfliegen abstürzte. Doch lassen wir ihn selbst erzählen, was damals genau geschah und welche Folgen dieses Ereignis für sein Leben hatte.
Herr
Jordi, in Ihren Schriften fand ich ein Zitat von Christian Morgenstern:
Es gibt einen Gedanken, der unsere ganze Lebensführung und Betrachtung
verändern würde: die Gewißheit unserer Unzerstörbarkeit
durch den Tod. Durch Ihr Nahtoderlebnis gelangten Sie zu jener Gewißheit.
Was genau geschah damals?
Fritz Jordi: Ich war mit einer Flugschülerin unterwegs und wir übten
den Kunstflug. Als wir das Flugzeug gewollt zum Absturz brachten und sich
die Maschine nicht mehr auffangen ließ (wegen eines Konstruktionsfehlers
dieses neuen Kunstfliegermodells), wurde aus dem akrobatischen Spiel plötzlich
tödlicher Ernst. Wir stürzten aus einer Höhe von 700 Metern
in den Boden. Plötzlich schwebte ich etwa 30 Meter über dem Flugzeug
über Tannenwipfeln und blickte hinunter zum Flugzeug, das völlig
zertrümmert auf dem Boden lag. Gleichzeitig erblickte ich dort unten
meinen leblosen Körper, der aus der zertrümmerten Kabine hing.
Dann hatte ich dieses wunderbare Erlebnis: Ich nahm das physische Leben
um mich herum mit stark erhöhter Bewußtheit wahr, sah die Tannenblüten,
Bienen, wie sie die Blüten bestäubten, nahm Düfte und Geräusche
mit tausendfach geschärften Sinnen wahr. Es war alles so intensiv,
eine völlig andere Dimension. Und ich war erfüllt von einem heftigen
Gefühl des Staunens. Diese Art Erfahrung mit Worten zu beschreiben
ist fast unmöglich. Ich blickte in die Umgebung, in die Berge, zum
Flugplatz und alles war erfüllt von unbeschreiblichem Licht. Da war
eine Lichtfülle, nicht vergleichbar mit dem Sonnenlicht, denn es war
auch eine Farbenfülle, einfach großartig.
Als ich im Spital aus dem Koma aufwachte, wurde ich mir bewußt, daß ich sozusagen hinter das Leben geblickt hatte und daß es im Leben ganz andere, mir damals unbekannte, geistige Dimensionen gibt. Diese Erkenntnis hat mein Weltbild und Leben grundlegend verändert.
Sie
wurden sich auch bewußt, daß wir Menschen nicht nur ein Erdenleben
zur Verfügung haben, sondern viele.
Nach dem Flugzeugabsturz konnte ich ein halbes Jahr nicht mehr gehen und
hatte deshalb viel Zeit zum Nachdenken. Ich studierte die Kulturgeschichte
der Menschheit (32 Bände von W. Durant), seine Entwicklung vom
Höhlenbewohner bis zum Menschen der Neuzeit. Und da wurde mir klar,
daß wir Menschen leben, um uns ständig weiterentwickeln und durch
ein immer universaleres Lebensverständnis unsere Liebesfähigkeit
ausbilden zu können. Da dies in einem einzigen Lebensdurchgang nicht
möglich ist, begann ich mich mit der Reinkarnationslehre zu befassen,
denn für die Entwicklung des Intellekts eines Einstein brauchte es
wohl mehrere Erdenleben. Die Reinkarnationslehre wurde in einem Konzil im
Jahr 550 n.Chr. aus den Lehren des Urchristentums gestrichen und unter Todesstrafe
verboten. 1 Durch den natur- und geisteswissenschaftlichen Fortschritt kamen
aber auch immer mehr bedeutende Persönlichkeiten der Geistesgeschichte
Goethe, Morgenstern, Hesse, Kyber, Lessing, Novalis, Tolstoi
zur Gewißheit, daß unsere geistig-psychischen Fähigkeiten
über lange Zeiträume hinweg in vielen Wiederverkörperungen
reiften, wir eben geistige Wesenheiten sind, nur der Körper sterblich
ist. Und daß wir alle ein sogenanntes Karma haben, also ein Schicksal.
Wie die Kirche einst akzeptieren mußte, daß die Erde kugelförmig
ist (nachdem sie lange Zeit Wissende als Irrlehrer hinrichten ließ),
wird sie bald durch wissenschaftliche Erkenntnisse gezwungen sein, die Reinkarnation
als Realität anerkennen zu müssen.
Wie
hat das Nahtoderlebnis Ihr Leben verändert?
Nach dem Nahtoderlebnis war ich auf der Suche nach Bewußtwerdung.
Ich fragte mich: Was bringt mich im Leben weiter? Und so war eine Konsequenz,
die wir zogen, daß wir den Fernseher entsorgten. Der Konsum von so
vielen schrecklichen Bildern, Unfällen, Verbrechen, Gewalt, aber auch
bloße Unterhaltung, verstärkt die Angst vor einer unbekannten
Zukunft. Vom wirklichen Leben jedoch wird im Fernsehen kaum berichtet. Nicht
mehr dauernd den Fernseher anschalten zu müssen, das war eine gewaltige
Erleichterung. Dafür begann ich wie gesagt, Bücher zu lesen. Ich
konnte ja nicht mehr gehen und hatte daher Zeit.
Was
genau veränderten Sie dann in Ihrem Schulunterricht?
In der Schule habe ich eigentlich nicht viel verändert, denn der Lehrstoff
ist ja vorgegeben . Jedoch habe ich begonnen, das Leben mit den Schülern
zu bewundern. Wir fragten uns: Was steckt da eigentlich dahinter? Zum Beispiel
bei einer Blume: Warum wird aus einem kleinen Samenkorn eine Blume? So gab
ich den Schülern beispielsweise die Aufgabe, alles aufzuschreiben,
was es braucht, bis aus einem Samenkorn zum Beispiel eine Sonnenblume entsteht.
Zuerst sagten sie sofort: Das können wir nicht, wir wissen das ja nicht.
Doch ich sagte, daß wir einfach einmal anfangen damit. Und so haben
wir all die verschiedenen Faktoren zusammengetragen. Solche Übungen
führten dazu, daß die Schüler zu staunen begannen über
das Leben und Respekt und Bewunderung empfanden. Sie begannen, Fragen zu
stellen: Wer macht das eigentlich? Was ist die Ursache? Ein weiterer Schritt
kann dann sein, daß wir uns mit der Lebensphilosophie eines Albert
Schweitzer beschäftigen, der viel über die Ehrfurcht vor dem Leben
geschrieben hat. Es geht darum, daß die Schüler zu erkennen beginnen,
daß wir in einer geistigen Entwicklung drin stecken und daß
das Göttliche in allem Leben enthalten ist. Daß wir unser Leben
nicht einfach verpfuschen dürfen. Ich habe aber den Schülern nie
von Reinkarnationen erzählt, sondern einfach beobachtet und gesehen,
da sind ganz verschiedene Individuen mit ganz unterschiedlichen Begabungen
und Talenten. Ich habe sie immer ermutigt, selber weiter zu suchen. Dies
ist die Art Schulreform, die mich dann voll beschäftigt hat und die
ich bestrebt war, in meinen Klassen zu realisieren.
"Schulreform"
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Berichte von Schulvisitatoren sind voll des Lobes über den Unterricht von Fritz Jordi. So steht z.B. in einem Bericht: Der Tag beginnt mit Mozart, eine Kerze brennt, die Schüler sammeln sich und werden ganz ruhig. Unter diesem Vorzeichen wird der Unterricht, selbst das trockene Rechnen, zu einem positiven Erlebnis. Aber sie lernen nicht nur Rechnen, sie lernen mehr, sie lernen fragen: warum?, sie lernen, den Problemen nicht auszuweichen, sondern sie zu bewältigen, zu verarbeiten, indem sie die Hintergründe verstehen.... Oder im folgenden Bericht: Herr F. Jordi strahlt eine große Ruhe und Erfahrung aus. Für seine Schüler ist er die Bezugsperson, die ihnen Eigenverantwortung geben und den Sinn im Leben aufzeigen möchte...Die direkte und offene Art des Lehrers motiviert die Klasse auf eine ganz besondere Weise: Sie zeigt sich äußerst lebhaft und interessiert...Seine Lektionen haben mich immer wieder aufs neue verblüfft, einerseits durch die Lebhaftigkeit der Beteiligung der Schüler und andererseits durch die große Aufmerksamkeit, sobald der Lehrer etwas erklärt.
Fritz Jordi: Die zentrale Frage eines Lehrers sollte sein: Wie kann ich die Schüler lebensneugierig machen? Sodaß sie Freude haben am Lernen? Dazu brauchen wir eine grundlegende Neuorientierung. Als Lehrer habe ich erfahren, daß es für eine gesunde seelische und geistige Entwicklung eines jungen Menschen heute vor allem eine Weltanschauung braucht, die ihn das Leben achten und bewundern läßt, Lebensideale, für die er sich begeistern kann. Meist unbewußt wehrt er sich gegen eine zu sehr profitorientierte, selbstsüchtige, sinn- und lieblose Lebenseinstellung, die aus einem rein mechanisch-materialistischen Weltbild resultiert. Die naturwissenschaftliche Meinung, zufällig, für nichts auf der Welt zu sein, erschwert es, die Beziehung zur Schöpfung und damit zum Schöpfer zu finden. Sie macht den Menschen beziehungs- und damit liebesunfähig, das heißt asozial, areligiös. Ein jeder ist jedoch von klein auf religiös, von einer ständigen inneren Unruhe getrieben, lebensbewußt zu werden, um in eine immer verständnisvollere Beziehung zu seiner Umwelt zu kommen, um lieben zu können, geliebt zu werden. Im Pubertätsalter ist das Bedürfnis nach einem umfassenderen Lebensverständnis besonders ausgeprägt. Darauf einzugehen wäre die große Chance des Religionsunterrichts, eine heute dringend notwendige seelische und geistige Entwicklungshilfe. Sie wird jedoch verpaßt, wenn an alle Schüler eines Kantons ein uniformer, von einer theologischen, psychologischen oder pädagogischen Ausbildungsinstitution zusammengestellter Lehrstoff auf die gleiche Art abgegeben wird.
Und
weil das naturwissenschaftlich-materialistische Weltbild den Schulunterricht
beherrscht und der Religionsunterricht eine unbedeutende Nebenrolle spielt,
nehmen die Schüler ihn auch überhaupt nicht ernst.
Genau. Als sich vor Jahren ein Religionslehrer ebenfalls über mangelndes
Interesse meiner Realschüler beklagte, begann ich, diesen Unterricht
selbst zu erteilen und integrierte die Auseinandersetzung mit der Frage
Wozu bin ich auf der Welt, lebe, liebe und leide ich? in die
meisten Fächer. Erstaunlich war, daß die ganze Klasse sich höchst
interessiert am gemeinsamen Suchen nach dem Sinn unseres Daseins beteiligte.
Doch nur wenn wir Eltern und Lehrer die Kinder in unserem persönlichen
Suchen nach einem tieferen Lebensverständnis mitnehmen, wollen sie
wissen, und sind unsere Belehrungen für sie auch glaubwürdig.
Nicht das, was wir reden, sondern das, was wir mit Ernsthaftigkeit vorleben,
wird von der Jugend geprüft, akzeptiert und nachzuleben versucht. Um
dies zu können sollte der Erzieher auch einen Sinn in unserer Menschwerdung
erkennen. Denn: Erziehung ohne jede Weltanschauung gibt es praktisch nicht.
Auch kulturelles Schaffen ist stets eine Auseinandersetzung mit dem Übersinnlichen,
dem Religiösen. Menschen ohne Kultur werden zu Robotern. Wenn Schüler
beispielsweise in der Naturkunde anstatt Tiere und Pflanzen naturwissenschaftlich
in ihre Bestandteile zu zerlegen beobachten und erkennen
lernen, daß auch das Werden eines Gänseblümchens ebenfalls
nur durch das exakt aufeinander abgestimmte Zusammenwirken geheimnisvoller
Kräfte der Gestirne (Klima), der Natur (Assimilation), der Insekten
(Befruchtung), der Tiere (Bodenkultur) und der Menschen (Austausch von Sauerstoff
und Kohlendioxid) möglich ist, beginnen sie zu staunen, werden sie
neugierig, wollen sie wissen, wozu denn sie, die Schüler, auf der Welt
sind. Eine solche Sensibilisierung des Verantwortungsbewußtseins ist
der beste Schutz vor der Gefährdung durch Drogen oder Gewalttätigkeit,
vermindert sie doch die Angst , nur sinnlos dahinvegetieren zu müssen.
Heidi, eine ehemalige Schülerin von Fritz Jordi, schreibt: "Drogen interessieren mich nicht! Diese Einsicht verdanke ich meinem Lehrer, der mir das Bewußtsein gab, daß gerade ich mit meinen Begabungen nötig und wichtig bin als Mitarbeiterin an der Schöpfung. "
Ein
solches Weltbild könnte also auch der heutigen Gewaltproblematik unter
jugendlichen entgegenwirken.
Ja natürlich.
Die Jugend ist unruhig geworden, weil sie wissen möchte, wozu sie auf
der Welt ist. Daß das naturwissenschaftlich/ materialistische Welt-
und Menschenbild der Aufklärung dringend erweitert werden muß,
wissen wir auch aus den Forschungsergebnissen der Kernphysik - siehe Heisenberg,
Bohr, von Weizsäcker, Charon. So schrieb der Nobelpreisträger
Max Planck: Nicht die sichtbare, vergängliche Materie ist das Reale,
Wahre, Wirkliche, sondern der unsterbliche Geist ist das Wahre, (da die
Materie ohne diesen Geist gar nicht bestünde).' Die Unfähigkeit,
das Leben zu achten,
zu lieben, zu bewundern, macht unzufrieden, ist die Ursache zunehmender
Angst und Streitsucht. Denn wenn wir weder im Leben noch im Tod einen Sinn
sehen, haben wir auch keine "Ehrfurcht vor dem Leben", wie die
Maxime Albert Schweitzers lautete. Und solange uns ein Verantwortungsbewußtsein
für das Leben fehlt, werden wir von ,Führern', die es auch nicht
haben, für ihre Streitereien um Profit und Macht mißbraucht;
versuchen Eltern und Erzieher vergeblich, mit allgemeinen pädagogischen
und psychologischen Belehrungen den Kindern aus ihren Lebensängsten
herauszuhelfen.
Wie
reagierten Ihre Schüler auf diese "Schulreform"?
Mit jeder
neuen Klasse wurden dank der erwachenden Neugierde und Ehrfurcht vor dem
Leben' die Disziplinarprobleme immer seltener und ich durfte oft erleben,
daß verhaltensauffällige Schüler und Gewalttäter durch
diese Art der Schulreform zu ganz lieben Kerlen wurden. Deshalb wurden gerade
meiner Klasse immer die Unruhestifter und Schlägertypen zugeteilt.
Ein solch anfänglicher Problemschüler in meiner Realklasse, der
sich durch diese Art des Unterrichtens dann aber völlig veränderte,
aufgeweckt und lebensneugierig
wurde, machte dann die Matura (das Abitur) und später sogar den Doktortitel
in Biologie. Er schickte mir seine Dissertationsarbeit und schrieb dazu,
daß er das mir zu verdanken habe. Natürlich sagte ich ihm, daß
er den Doktortitel nicht mir zu verdanken habe, sondern daß er selbst
es so weit gebracht habe. Heute ist er Mittelschullehrer.
Wenn ich solche Beispiele dann aber an Vorträgen erzählte, sagten die Leute, ich hätte das wunderbar gemacht. Nein, nein, es hat nicht mit mir zu tun. Die Art des Unterrichtens sollte umgestellt werden!
Schule
soll "Feuer" der Schüler wecken
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Je öfter wir den Schülern Gelegenheit geben, dieses so exakte Zusammenwirken geheimnisvoller Kräfte, die eine so unermeßliche Vielfalt von Leben ermöglichen z. B. in Ökosystemen - zu bestaunen und zu bewundern, um so besser lernen sie, das Leben zu verstehen, zu lieben, und um so verantwortungsvoller werden sie für ihr Denken und Tun. Nötigen wir sie hingegen ständig, sich mit den von uns Erwachsenen verursachten (!) Problemen auseinanderzusetzen, indem wir über Sucht-, Flüchtlings-, Beziehungs-, Aids-Probleme diskutieren, wehren sie sich mit Recht gegen diese ihrer seelischen und geistigen Entwicklung nicht entsprechende, unnötige Überbelastung mit Ängsten.
Die Erkenntnis, für das Wohlergehen der Umwelt, der Klassengemeinschaft, der Familie, der Erde wichtig, mitverantwortlich zu sein, erwies sich - mehr als alles Belehren und Aufklären über Drogen und Aids - als wirksamste Suchtprävention. Die heute verunsicherte, fragende, kritische Jugend ahnt scheinbar stärker als ihre Erzieher, daß die materialistisch-technische Weltanschauung überholungsbedürftig ist.
In seinem Buch" Werden zwischen Droge und Liebe, Angst und Verstehen "(Novalis Verlag) schildert Fritz Jordi folgendes Beispiel: "Ruth, die im ersten Schuljahr durch ihre Nervosität und Unbeherrschtheit aufgefallen war, beeindruckte in diesem Lager (einem Klassenlager, Anm. d. Verf.) durch ihre Tatkraft als Küchenchefin. Als ich sie lobte, bemerkte sie ganz ernsthaft, sie habe durch die gemeinsamen Betrachtungen unseres Denkens und Verhaltens eine neue Lebenseinstellung gefunden. Sie sei vorher überempfindlich und jähzornig gewesen, eine berechnende Drückebergerin in allen Gemeinschaftsarbeiten. Sie habe unter einer andauernden und unerklärlichen inneren Leere und Traurigkeit gelitten. Jetzt finde sie die Schule und das Leben überhaupt äußerst spannend, und sie freue sich, schwierige Aufgaben, wie beispielsweise hier als Köchin, lösen zu dürfen."
Ein anderes, eher kritisch-depressiv veranlagtes 15jähriges Mädchen schrieb während des Klassenlagers in ihr Tagebuch: "Als wir am Feuer saßen, neben uns der Bach rauschte, wir die Geschichte von Prometheus hörten und ich über uns diesen wunderschönen Sternenhimmel entdeckte, da war ich ganz, ganz glücklich."
Auch ehemalige Schüler wandten sich noch oft um Rat an ihren früheren Lehrer, so schrieb z. B. eine Achtzehnjährige: "Ich schreibe Ihnen, weil ich immer besser verstehe, weshalb uns Denkgewohnheiten krank machen. Manchmal denke ich, daß ich zu viel denke und zu stark mitempfinde. Manchmal möchte ich wieder in die Schule kommen, um noch mehr zu erfahren über Wahrheit und Liebe. Wir brauchen immer einen Führer. Dies waren Sie für mich. Im Moment vermisse ich eine solche Person, die mehr weiß und an die ich glauben kann... ".
Da
erstaunt es nicht, daß Ihre Schüler Sie als Lehrer liebten und
gerne zu Ihnen in den Unterricht kamen!
Ich habe
einfach damit aufgehört, die Kinder zu uniformen Schülem zu erziehen,
das heißt, ich habe aufgehört, auf den Schwächen eines Schülers
herumzuhacken, also zum Beispiel zu sagen: Du bist schlecht im Rechnen,
du mußt jetzt endlich ... du mußt ... du mußt ... denn
ein Realschüler weiß ganz genau, in welchen Fächern er schwach
ist und wo nicht. Vielmehr habe ich geschaut und mich gefragt: Wo stecken
die Talente dieses Schülers? Denn jeder hat irgendwelche besonderen
Talente und Begabungen. So hatte ich zum Beispiel einen Schüler, der
war ganz schlecht in Französisch, hatte aber eine starke handwerkliche
Begabung. Ich machte ihn zu meinem Assistenten im Handwerksunterricht, er
durfte beim Vorbereiten dieser Stunden mithelfen. An einer späteren
Klassenzusammenkunft sagte mir dieser ehemalige Schüler einmal - heute
leitet er übrigens eine große Werkstatt und hat auch einen großen
Rebberg -, daß er selig war, nachdem er im Handwerksunterricht eine
solch führende Rolle übernehmen durfte. Dies sei seine Erlösung'
gewesen, da er fühlte, daß ich auf seine Stärken mehr Gewicht
legte als auf seine Schwächen.
Mich hat das auch begeistert zu sehen, daß jeder anders, eben einzigartig ist. Das hat mich fasziniert und deshalb ging ich gerne zur Schule, war gerne Lehrer. Die Schüler haben mich neugierig gemacht und ich liebte es herauszufinden, welche Stärken und Talente jeder einzelne hatte. Und zu beobachten, wie die Schüler aufblühten, wenn man ihre Stärken hervorhob. Das hat sich auch positiv auf die anderen Schüler ausgewirkt, denn sie sagten sich: Wir wollen auch. Und nicht: Wir müssen. Doch leider läuft es heute in unserem Schulsystem immer mehr darauf hinaus, die Kinder zur Uniformität zu erziehen, so daß sie den Bedürfnissen der Wirtschaft möglichst gerecht werden, anstatt umgekehrt, daß die Schule den Bedürfnissen der Kinder gerecht wird - kein Wunder, daß es immer mehr Gewalt unter den Jugendlichen gibt!
Angeblich
gelang es Ihnen auch, den Schülern die Prüfungsangst zu nehmen
und sie zu motivieren, aus eigenem Interesse lernen zu wollen.
Ja, dies
ist mir auch oft gelungen. So konnte ich zum Beispiel eine Klasse, während
sie eine Prüfung schrieb, allein lassen und erlebte, als ich wieder
ins Schulzimmer zurückkam, daß jeder Schüler immer noch
still konzentriert an seiner Arbeit saß und selbst sehen wollte, wie
es mit seinem Wissen stand. Oder mein schönstes Erlebnis als Lehrer:
Eines Tages war ich krank, hatte Angina und zweiundvierzig Grad Fieber,
habe das der Schulleitung aber nicht gemeldet, sondern die Schüler
- es waren Schüler einer 3. Realklasse - gefragt, ob sie ohne mich
mit dem Unterricht weitermachen wollen. Spontan sagten sie ja, und so kam
jeweils ein Schüler abends bei mir zu Hause vorbei und nahm die Aufgaben
für den Unterricht des nächsten Tages entgegen. Eine ganze Woche
lang führten die Schüler den Unterricht ohne mich fort und es
gefiel ihnen, selbstständig zu arbeiten. Es bedingt eine lange Zusammenarbeit,
damit eine Klasse fähig wird, sich selbst zu unterrichten und selbständig
zu lernen. Es ist nur möglich, wenn die Schüler befreit sind von
der Prüfungsangst, von der Angst des Wissenmüssens und sich der
Freiheit des Wissenwollens gewahr sind.
Wir Eltern und Lehrer vermögen die Kinder erst dann von der Angst zu befreien, wenn wir selbst Sicherheit, Begeisterung, Ruhe und Überzeugungskraft ausstrahlen. Dann fassen sie zu uns Vertrauen. Solange die Erwachsenen einer persönlichen Auseinandersetzung mit der so wichtigen Frage nach dem Sinn unseres Daseins jedoch ausweichen, fehlt das "geistige Feuer", von dem zündende Funken auf die Kinder überspringen könnten. Angst vor einer Zukunft ohne Sinn und Ziel ist die Folge, und diese wiederum ist Ursache von Gewalt.
Ich bin immer wieder traurig, wenn ich sehe, wie nach einem gewalttätigen Vorfall unter Schülern reagiert wird. Immer nur belehrend...immer nur ' ihr müßt' ...,oder ' du mußt...' und ' du darfst nicht...'. Dabei sind doch die Erzieher, die Erwachsenen, zuständig, daß die Kinder das Leben lieben lernen. Und das geschieht eben nur, indem die Kinder das Leben verstehen, bewundern und achten lernen.
Was
würden Sie heute einem jungen Menschen sagen, ist das Wichtigste im
Leben?
Daß
er lebensbewußt wird, das heißt, daß der junge Mensch
erkennt, daß er ein mitverantwortlicher Teil eines lebendigen Ganzen
ist und mit seinen je eigenen Stärken und Begabungen in dieser Welt
wirken soll - und zwar nicht nur zugunsten der Industrie und nicht nur zum
Geldverdienen. Und dabei müssen wir Eltern und Lehrer ihm helfen. Genauso,
wie das Kind seine Begabungen, sei es die Kunst des Gehens, des Sprechens,
des Schreibens, des Musizierens oder des Rechnens, nur durch Üben zur
Entfaltung zu bringen vermag, muß es auch die Kunst des Einfühlens
und Verstehens, das heißt des Liebens ausbilden. Weicht der Mensch
dieser Aufgabe durch Flucht in ein bloßes Genießen aus - bis
zu den extremeren Formen der Süchte, Drogen, Rauchen, Alkohol - wird
er beziehungsunfähig und vereinsamt. Das Leben erscheint sinnlos. So
erreicht der Mensch das Ziel der Bewußtwerdung nicht, nämlich
durch Selbsterkenntnis die Auswirkungen seines Denkens und Handelns auf
die Umwelt zu erkennen.
Herr Jordi, ich danke Ihnen herzlich für dieses interessante Gespräch!
Möglichkeiten
in der Schule
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Fritz Jordi vertritt in seinen Schriften die Forderung, daß Schule mehr bieten muß als bloße Wissensvermittlung. Er schreibt: "Als Lehrer ist mir dann bewußt geworden, daß vor allem in den ersten drei Schuljahren die Fähigkeit zum Staunen beim Kind angeregt und gefördert werden sollte; auf der Mittelstufe, also zwischen dem zehnten und zwölften Altersjahr, sollte Bildung unter dem Vorzeichen des Beobachtens stehen; das Kind erweitert durch intensives Beobachten sein Weltbild und lernt forschen, entdecken und klärend erfassen.
In der
Pubertät sodann tritt die Sinnfrage in den Mittelpunkt, Entwicklungs-
und Beziehungsprobleme beschäftigen den jungen Menschen; deshalb muß
Bildung in dieser Lebensphase mit Gemütsbildung einhergehen."
Einige Beispiele
sollen an dieser Stelle verdeutlichen, wie genau Fritz Jordi seine "Schulreform"
in die Praxis umgesetzt hat. In einem Bericht schreibt er über den
Unterricht der 1 . bis 3. Realschulklassen (Jugendliche im Alter von 13
bis 15 Jahren):
In der
1. Klasse...
geben wir
den Schülern oft Gelegenheit, was sie tun, bewußt zu betrachten
und zu bedenken. Sie sollen erkennen lernen, wie ihre Gedanken, Empfindungen
und Handlungen auf die Umgebung wirken und sich daraus ihr ,Lebensgefühl'
bildet."
Ein Beispiel dazu: Im Schulhaus wurden des öfteren Fahrräder beschädigt. Einmal traf es auch dasjenige eines Mitschülers; die Klasse war empört. Nun forderte Fritz Jordi seine Schüler auf, Gründe für eine solche Tat an die Wandtafel zu schreiben, auch alle ihre negativen Auswirkungen für den Geschädigten werden untersucht. Darauf schaute sich die Klasse an, was eine positive Tat - beispielsweise eine Blume auf den Gepäckträger legen - alles für positive Auswirkungen hätte.
"In Willens- und Konzentrationsübungen lernen sie am Morgen vor Arbeitsbeginn, wie man still wird, sich sammelt, ganz ,Auge und Ohr' wird, z. B. indem sie ein paar Minuten ruhig eine Kerze, ein Bild oder auch einen Gebrauchsgegenstand betrachten. Sie lernen, ihre Gedanken und die Umwelt zu betrachten und die Wohltat des Stillwerdens erfahren. Um Mitdenken und Mitfühlen zu lernen, lesen wir Kurzgeschichten über Freundschaften zwischen Menschen und Tieren, halten die Schüler Vorträge über einen bewunderten Menschen (Ideale, Idole).
In diesem Alter erwacht die brennende Neugierde für die Frage, wozu sie auf der Welt sind. Wir verfolgen durch die Zeit- und Kulturepochen die zuerst vorwiegend physische (Sammler, Hirten), dann später mehr seelische (Hochkulturen) und zuletzt stark intellektuelle (Aufklärung) Entwicklung der Menschheit.
Um die Schüler erkennen zu lassen, daß sich das ganze Universum durch das exakte Zusammenwirken aller Zellen und Atome des ganzen Kosmos in ständiger Entwicklung befindet, betrachten wir Arbeits- und Lebensgemeinschaften von Pflanzen und Tieren in Wald, Wiese und Weiher und ihre Abhängigkeit von verschiedenen Einflüssen durch unser Sonnensystem (Klima, Licht).
Der Religionsunterricht hilft mit, diesen Zusammenhang besser sehen und verstehen zu lernen, hinter 'Schicksalsschlägen' einen tieferen Sinn ahnen zu lassen, durch das Betrachten des Reifeprozesses des menschlichen Bewußtseins vom kollektiv triebhaften (Altes Testament) zum selbst- und sozialbewußten Denken durch das Liebesmysterium Christi (Neues Testament) aufmerksamer auf das 'höhere Ich' in uns (das Gewissen) zu achten und sich bewußt zu werden, daß der Mensch wohl ,göttergleich' ist, sich aber noch im Entwicklungsstadium des 'Zauberlehrlings' von Goethe befindet.
Im Zeichenunterricht, in Gedichten und Lesestücken (Manfred Kyber: Tiergeschichten) wird in Tier-Mensch-Freundschaften Mitgefühl, Vertrauen, Treue, Fürsorge, selbstlose Liebe miterlebt und nachempfunden."
In der
2. Klasse...
" ...
verschieben wir den Schwerpunkt der Gemütsbildung mehr von der Selbstbewußtwerdung
auf die Du-Beziehung - die Kunst, den anderen lieben zu lernen wie sich
selbst, Die Schüler befassen sich nun bewußter mit der Frage
'Wer bin ich?', um sich in die Andersartigkeit ihrer Klassenkameraden zu
versetzen, sie akzeptieren und besser verstehen (lieben) zu lernen.
Wir schreiben uns Briefe über das, was uns beschäftigt, interessiert, stört, bedrückt, beglückt und bestaunen das wunderbare Zusammenwirken einer Vielfalt äußerst komplexer Systeme, die uns zu lieben, zu denken, zu wollen ermöglichen.
Im Sprachunterricht halten die Schüler Vorträge über Menschen mit beispielhaftem, sozialbewußtem Denken und Handeln. In einem Heft sammeln sie Fotos mit Menschen in verschiedenen Lebenssituationen von der Geburt bis zum Tod und beschreiben, was diese tun, empfinden, denken."
In der 3. Klasse...
..befassen wir uns vermehrt mit dem Hintergründigen in unserem Leben. Wir lesen Bücher, in denen sich Autoren mit dem Geheimnisvollen und Wunderbaren in unserem Dasein auseinandersetzen, z. B. Die Möwe Jonathan (Richard Bach), Es war, als sängen die Engel (Whittacker), Das wiedergefundene Licht (Lusseyran), Das Netz (Bergengruen).
Während eines halben Jahres erleben wir in Mozarts Zauberflöte die sieben Stufen der Menschwerdung Taminos mit, von der Kindheit (Angst, Ohnmacht), über die Pubertät (,Dies Bildnis...') und die Zeit der Versuchungen (Verirrungen), der Einsamkeit, der Prüfung, der Reinigung bis zu einem kosmischen Lebensverständnis (Erleuchtung) und zur Lebenserfüllung.
Beglückende Lebenserfahrungen, Erkenntnisse, Einsichten werden in den stillen Stunden' schriftlich festgehalten oder in Zeichnungen in Themen wie "Liebe", "Toleranz", "Ich", "Angst" verarbeitet.
Aus der
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- Vielen Dank für die freundliche Bereitstellung
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