November 2006 www.initiative.cc

Der Powerpoint-Irrtum
Über Theorie und Praxis erfolgreichen Präsentierens

Wer kennt sie nicht, Vorträge und Präsentationen mit Overheadprojektor oder Beamer. Im Grunde eine gute Sache, nur allzu oft schlecht eingesetzt. Im Geschäftsbereich werden inzwischen 95% aller Präsentationen mit dem Programm Power Point gemacht. Aber 95% der guten Präsentationen verzichten darauf.

von Matthias Pöhm

Es gibt einen Leitsatz, den kann man in fast jedem Rhetorikbuch nachlesen: "Sprechen Sie während ihrer Präsentation einen zusätzlichen Sinneskanal an. Dadurch erhöht sich die Behaltensquote und die Wirkung der Worte steigert sich." Also, wenn Sie zur gesprochenen Sprache (Sinneskanal Ohr) noch einen Text oder Grafik sehen (Sinneskanal Auge) dann wird's automatisch besser.
Seit 1968 der erste Overheadprojektor auf der Bildungsmesse "Didacta" vorgestellt wurde, hatte man ein wunderbares Vehikel gefunden, diesen Lehrsatz in die Praxis umzusetzen. 1987 erwarb Bill Gates die Rechte an Powerpoint, das Programm, das langsam den Overheadprojektor verdrängt und das heute 95% des Präsentations-Softwaremarktes beherrscht.
Egal in welchem Umfeld, praktisch überall wird mit dem Flagschiff von Microsoft präsentiert. Mit einem Beamer erscheint dann die Grafik der letzten Umsatzzahlen. Die neue Strategie der Marketingabteilung. Die Umsetzung der neuesten Restruktrierungsmassnahme. Die schematische Darstellung eines technischen Vorgangs....

Das Gefühl entscheidet

Am 28 Juli 1963 stieg ein Mann vor dem Kapitol in Washington auf eine Rednertribüne vor über 250'000 versammelten Menschen und erhob seine Stimme. Es wurde eine der grössten Reden des Jahrhunderts. Der Name des Mannes war Martin Luther King, der charismatische Schwarzenführer, der durch seinen gewaltlosen Kampf die Rassentrennung in Amerika zum Verschwinden brachte. Im nachhinein gab man seiner berühmtesten Rede einen Namen: "I have a dream" Mit flammender Stimme beschrieb Martin Luther King, eingeleitet durch den immer selben Satzanfang "I have a dream", sein Amerika der Zukunft. Nur wer diese Rede einmal im Fernsehen gesehen hat, kann die Ehrfurcht gebietende Wirkung seiner Worte von damals nachempfinden.
Stellen wir uns doch einmal folgendes Szenario vor. Schon damals hätte es Powerpoint gegeben und Martin Luther King hätte zur besseren Deutlichmachung seiner Botschaft auf einem Riesen Bildschirm seine Kernaussagen mit Powerpoint unterstützt. Das hätte dann in etwa so aussehen können:
Natürlich wären die Texte, unter Ausnutzung aller spielerischen Möglichkeiten dieses Programms in Farbe von links nach rechts wie von Geisterhand auf dem Bildschirm eingeschwebt. 250'000 Menschen hätten bereits vorher gelesen, was Herr Luther danach noch einmal fast wörtlich wiederholt hätte... seine sonst bildhafte Sprache hätte sich notgedrungen an den Akademikertext auf der Folie angepasst. Sie können sicher sein, dass sich die Wirkung einer der grössten Reden der Menschheit um den Faktor Zehn verschlechtert hätte! Ich vermute, nach so einer mit Powerpoint unterstützen Rede hätten wir wahrscheinlich noch heute die Rassentrennung in den USA.
An Hand dieser Jahrhundertrede wird ein Wirksamkeitsprinzip von Reden deutlich: Es geht gar nicht um den INHALT ihrer Rede. Das ist nur ein Wunschdenken der meisten Redner. Man hat getestet, was den Menschen vom Inhalt einer Präsentation bleibt. Es sind magere 7 Prozent! Rückgerechnet auf die Rede von damals würde es so aussehen: Von den 250'000 versammelten Menschen hätte, wohlwollend gerechnet, weniger als 1% der Anwesenden danach noch alle seiner insgesamt sieben Traumvisionen zusammenfassen können.

Inhalt oder Emotion

Es gibt einen Irrtum, der sich hartnäckig in den Köpfen der meisten Rhetoriktrainer hält. Es ist nicht der transportierte Inhalt, der für die Wirkung entscheidend ist. Entscheidend ist, das Gefühl, dass dieser Inhalt bei den Menschen auslöst. Nur darum geht es. Martin Luther King hat Gefühle ausgelöst, es ist völlig unwichtig, wie viel Details der Rede die Zuschauer behalten.
Durch Powerpoint erkaufen Sie sich eine minimale Zunahme der Behaltensquote durch einen dramatischen Abfall der ausgelösten Gefühle.
Tatsache ist: Sie ENTWERTEN eine Aussage, wenn Sie noch einmal als Text zu sehen ist. Text auf Folie verhindert Gefühle. Text auf Folie tötet Spannung, Text auf Folie verhindert Wirkung, das ist die Realität und alles andere ist gut klingende Theorie. Und Powerpoint ist der dominierendste Protagonist dieser Wirkungs-Verhinderung-Schlachten.
Viele meinen mit Grafiken, schematischen Darstellungen und Bildern wäre es aber etwas anderes. Leider Nein! Denn Text tötet Spannung, auch wenn er für beschriftete Diagramme oder beschriftete Bilder herhält.
Die glühendsten Verfechter von Powerpoint sind meistens nur die Referenten, nicht aber die Zuhörer. Wann immer mir einer meiner Teilnehmer von einem Redner erzählt, der ihn begeistert habe, frage ich nach, ob er mit Powerpoint gearbeitet hat. Das Ergebnis: In 95 von 100 Fällen hatte er frei geredet -- ohne Powerpoint.
Menschen überzeugen, nicht technische Hilfsmittel
Natürlich gibt es Ausnahmen. Redner, die trotz Powerpoint eine gute Rede halten. Aber das ist so ähnlich wie das Anlegen des Sicherheitsgurtes beim Auto. Nur weil in 5 von 1000 Fällen das Nicht Anlegen eines Sicherheitsgurtes dem Fahrer das Leben gerettet hat, rechtfertigt es noch lange nicht, dass man auf Sicherheitsgurte prinzipiell verzichten sollte. Nur weil einer mal mit Powerpoint eine gute Rede gehalten hat, rechtfertigt es noch lange nicht, dass man prinzipiell mit Powerpoint arbeiten sollte.

Leinwand mit Lesezwang

Wenn Sie Powerpoint benutzen sind die Augen des Publikums starr auf die Leinwand gerichtet, der Mensch unterliegt einem Lesezwang - Sie können den Redner eigentlich wegräumen.
Das Problem ist, dass die Rede in eine Struktur gezwängt wird, die dem natürlichen Redefluss entgegen wirkt. Die Rede wird in einzelne kleine Häppchen geteilt
Powerpoint verleitet zur Substantivierung und zum Formulieren von Wortmonstern, die nur noch vom Verstand verarbeitet werden, aber das Gefühl nicht mehr ansprechen. Das, was Sie normalerweise mit einem Verb ausdrücken, wird in Powerpoint zu einem Substantiv. Die zwei in der Umgangssprache frei gesprochenen Sätze: "Der Regensensor erkennt ob's regnet und macht den Scheibenwischer an. Der Regensensor erkennt wie viel es regnet und macht den Scheibenwischer schneller" werden unter Powerpoint zu Substantiv-Schlagwort-Sätzen zerstückelt.

Jetzt passiert beim Vortrag leider folgendes. Der Redner, der die Charts als sein Stichwortzettel benutzt, liest, bevor er spricht, mit einem Blick diesen Satz. Die Formulierung auf der Folie wandert in sein Kurzzeitgedächtnis und es ist ihm fast unmöglich, das noch in anschauliche Alltagssprache zu übersetzen. Also liest er mehr oder weniger brav diesen Katastrophensatz ab. Spätestens nach fünf solcher Folien hört Niemand mehr im Raum zu. Teilnehmer aus meinen Seminaren haben mir Powerpoint-Folien mitgebracht, wo 126 (!) solcher Horrorfolien hintereinander gezeigt wurden.
Wenn man sich klar macht, dass Microsofts PowerPoint in mehreren hundert Millionen mal weltweit verkauft wurde, können Sie davon ausgehen, dass die Menschheit monatlich mit mehreren Milliarden solcher Folien zum Einschlafen gebracht wird.

Charts als Stichwortzettel

Ich habe mal ein hypothetisches Szenario aufgestellt. Ein Manager hat bei so einer Präsentation 50 Führungsleute während zwei Stunden im Saal sitzen. Die Information rauscht auf nimmerwiedersehen durch das Kurzzeitgedächtnis durch - Die Gedanken schweifen nach 10 Minuten zum Feierabend - Motivation wird nicht aufgebaut, sondern vernichtet. 50 Führungsleute während zwei Stunden kostet einer Firma runde 7'000.- Euro. Nicht gezählt, die Arbeit, die in dieser nutzlosen Zeit liegen geblieben ist. Wenn man einmal annimmt, dass pro 100 Mitarbeiter wöchentlich fünf solcher Vorträge gehalten werden, und das multipliziert mit den rund 38 Millionen Beschäftigten in Deutschland, dann wird dort Deutschlandweit ein Betrag von 1,6 Milliarden Euro verpufft. . Jede WOCHE! Woche für Woche, Monat für Monat, Jahr für Jahr.
Eigentlich wäre es volkswirtschaftlich sinnvoll, Powerpoint und Fertigfolien zu verbieten. Es würde den einzelnen Firmen Millionen sparen und der Volkswirtschaft Milliarden Zugewinne bringen. Man könnte statt einen Feiertag zu kürzen, sofort einen neuen zusätzlichen Feiertag einführen. Ich schlage einen "Powerpoint -Gedenk-Tag" vor.

Artikel von Matthias Pöhm, aus seinem neuen Rhetorik-Buch "Präsentieren Sie noch, oder faszinieren Sie schon - Abschied vom betreuten Lesen"
http://www.poehm.com/der-irrtum-powerpoint/
Danke für die freundliche Bereitstellung und Genehmigung.

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