Mai 2004 www.initiative.cc
Organentnahme
Plädoyer gegen eine ungefragte Organentnahme bei Sterbenden
!
Artikel mit freundlicher Genehmigung aus AEGIS Impuls Nr.16, der Verienszeitschrift
von AEGIS, www.aegis.ch
/ www.aegis.at .
Organentnahme
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DI Andreas Kirchmair
"... und man sieht
nur, die im Licht sind, die im Dunkeln sieht man nicht" wer kennt nicht
diesen alten Schlager? Wir alle haben von den "Erfolgen" der seit
Ende der 60er Jahre boomenden Transplantationsmedizin und über Organempfänger
gehört und gelesen, insbesondere die beteiligten Ärzte stehen regelmäßig
im Scheinwerferlicht. Nur, wo kommen die Organe her, die transplantiert werden,
wer sind die "im Dunkeln"? Sind es Leichen, wie das Gesetz fordert,
oder sind es (noch) Lebende - handelt es sich dabei nur um eine semantische
oder um eine sehr grundsätzliche Frage?
Als Präsident eines
österreichischen Patientenvereins, der sich für Menschenwürde
in der Medizin einsetzt und der sich u.a. seit rund 10 Jahren mit der Problematik
der Organentnahmen befaßt, habe ich Argumente zusammengetragen, warum
die bestehenden gesetzlichen Grundlagen in Österreich problematisch sind
und warum diese daher nach unserer Überzeugung aufgehoben werden müssen:
1. Es sind Sterbende,
nicht Tote
2. Für tot erklärt, weil man etwas von ihnen haben will
3. Die Bevölkerung wird (bewusst) getäuscht
4. Die Praxis zeigt eine bedenkliche Eigendynamik (Organbegehren)
5. Vor dem Gesetz trägt niemand die Verantwortung
6. Auch in der medizinischen Wissenschaft zunehmend umstritten
Diese Stellungnahme beleuchtet die Situation in Österreich, die durch
die Art der Einbindung der Bevölkerung, die sogenannte Widerspruchslösung
("jeder, der nicht offiziell widerspricht, stimmt zu") noch verschärft
wird, im Gegensatz zu der in Deutschland praktizierten erweiterten Zustimmungslösung
(auch Verwandte können noch zustimmen). In der Schweiz gilt je nach Kanton
eine der beiden Lösungen. Aber das Grundthema, Sterbende zu explantieren,
ist in allen Ländern das gleiche.
Es würde sich lohnen, darüber nachzudenken, wie es dazu gekommen
ist, daß die Mediziner heute eine solche Macht haben. Daß sie
politische Freiräume bekommen haben, in denen sie schalten und walten
können, ohne daß die Konsequenzen und die Erfolge ihres Tuns gründlich
und von mehreren Seiten hinterfragt werden. Daß sie sogar sterbende
Menschen für tot erklären können. Nur würde das den Rahmen
dieses Artikels sprengen. Daher zurück zum Thema:
Ausgangssituation
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1982 wurde im österreichischen Nationalrat mit den Stimmen aller Parteien (und ohne z.B. die Stellungnahme der katholischen Kirche einzuholen) das "Bundesgesetz über Organentnahme bei "Verstorbenen", beschlossen, das "die operative Entnahme von Organen wie Lunge, Herz und Nieren erlaubt, sobald der "Spender" verstorben ist." Unser Punkt ist einfach erklärt: Die Organe von Toten sind unbrauchbar. Nur die Organe eines (für hirntot erklärten) Menschen, der aber noch atmet und fiebert, während der Explantation Narkotika sowie Schmerz- und Beruhigungsmittel erhält ("Lebende Leichen"), können für Transplantationen verwendet werden (empfehle dazu das Buch "Herzloser Tod" von Baureithel u. Bergmann 99). Die Vorverlegung des Individualtodes durch den sogenannten Hirntod (1968) hat nicht nur mehrere Todeszeitpunkte, sondern auch eine ethische Grauzone geschaffen.
1.
Es sind Sterbende, nicht Tote
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Daß es sich um eine ethische Grauzone handelt, bestreitet heute niemand mehr, aber sie wird öffentlich und politisch zumindest in Österreich kaum diskutiert. Nach jahrelanger Beschäftigung mit diesem Thema sind wir im Vorstand unseres Vereins zur Überzeugung gekommen, daß diese Menschen (in Österreich zuletzt rund 180 pro Jahr) zwar im Sterben liegen, aber noch leben, und erst dann sterben, wenn ihnen am Ende der Explantation das Herz herausgeschnitten wird. Daß also in Österreich u. E. ungefragt, aber gesetzlich legitimiert, ein Leben für die Gesundung eines anderen Lebens eingesetzt wird. Wie kommen wir dazu, derartige (manche werden sagen ungeheuerliche) Behauptungen aufzustellen ?
2.
Für tot erklärt, weil man etwas von ihnen haben will
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Diese Sterbenden verlieren, sobald sie für hirntot erklärt werden, jeglichen Rechtsschutz als Person, sie haben keine Lobby mehr, als Verstorbene haben sie einen anderen Status (Pietät, etc.); sie werden sogar ihren Angehörigen entzogen. Und sie werden nur deshalb für tot erklärt, weil man etwas von ihnen will, nämlich ihre Organe, und nicht, um ihnen zu helfen. Vergleichbar einem Vermißten, der für tot erklärt wird, um Armen seine Güter übergeben zu können ("der Zweck heiligt die Mittel"). Die Hirntod-Diagnose ist heute praktisch ein Todesurteil ohne Berufungsmöglichkeit.
3.
Die Bevölkerung wird (bewusst?) getäuscht
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Die Durchführung
dieses Gesetzes fußt in Österreich auf 2 Pfeilern, dem Hirntod
und der Widerspruchsregelung. Diese Ausgangssituation ist nur sehr wenigen
Experten bekannt. Wenn Sie sich in der Bevölkerung umhören, werden
Sie erfahren, daß mindestens 90% von anderen Annahmen ausgehen, nämlich
der, daß die Patienten "wirklich" tot sind ("Herz-Kreislauf-Tod",
"letzter Atemzug") und daß die Zustimmungslösung gilt,
wie in Deutschland. Juristen sprechen davon, daß, wer die Unwissenheit
eines anderen zu seinem Schaden ausnutzt, den Tatbestand des Betruges setzt.
In der Öffentlichkeit wird weiters in bewußter Verdrehung der gesetzlichen
Situation der Widerspruchsregelung der Begriff "Organspender" verwendet,
obwohl für eine Spende Freiwilligkeit und informierte Zustimmung Voraussetzung
sind - diese Bezeichnung ist eindeutig falsch. Auch der sehr oft verwendete
Begriff der Nächstenliebe ist eine Verdrehung, weil de facto die "Nächstenliebe"
nicht bewußt persönlich geschenkt, sondern staatlich verordnet
wird, als eine "Auf-opferungspflicht".
4.
Die Praxis zeigt eine bedenkliche Eigendynamik
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Es ist eine Mauer des Schweigens und der Angst entstanden. Welche Auswirkungen hat dieses Gesetz heute in der Praxis der österr. Krankenhäuser ?
5.
Vor dem Gesetz trägt niemand die Verantwortung
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Eine persönliche
Bemerkung als Unternehmensberater, ein Blick auf das österreichische
Bundesgesetz zeigt, daß hier niemand eine persönliche Verantwortung
trägt: Der betroffene Sterbende und seine Angehörigen sind durch
die weitgehend unbekannte Widerspruchsregelung aus der Verantwortung genommen,
die Juristen verlassen sich auf die Mediziner, der Neurochirurg stellt nur
den Hirntod fest, der Anästhesist kümmert sich nur um die Narkose,
der Transplanteur operiert nur die Organe heraus und reist schnell mit dem
Flugzeug wieder ab, usw. Mein persönlicher Eindruck nach mehreren Diskussionen
mit Beteiligten: Die meisten haben ein schlechtes Gewissen ...
Weitere Fragen: Wer übt eine Kontrolle aus ? Was passiert bei Verletzung
des Gesetzes - gibt es überhaupt irgendwelche Sanktionen außer
den lächerlichen 2.200 Euro ? Ist der tote menschliche Körper ein
"herrenloses Gut" oder gibt es jemand, der ein "Sorgerecht"
hat ?
6.
Auch in der medizinischen Wissenschaft zunehmend umstritten
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Uns ist sehr wohl bewußt,
daß (mehrheitlich) nach dem heutigen Stand der medizinischen Wissenschaft
der Tod eines Menschen mit der Einstellung der Gehirntätigkeit eintritt,
nur halten immer mehr Menschen weltweit - Ärzte, Philosophen, Theologen
und Bischöfe - dieses Konzept des Hirntodes mit seinen mittlerweile über
30 verschiedenen Definitionen für einen Irrweg oder für überholt
und für so brüchig, wie die ehemalige Berliner Mauer.
Lassen Sie mich als Demokrat noch ein Argument hinzufügen: Auch der "Stand
der medizinischen Wissenschaft" basiert auf Interessen und auf Mehrheitsentscheidungen
medizinischer Experten. Kann es in unserer pluralistischen Gesellschaft überhaupt
einen einheitlichen Stand der medizinischen Wissenschaft geben ? Und darf
dieser Stand absolut genommen werden, darf die Gesundheit absolut genommen
werden ? Der Schutz des Lebens stellt einen Grundwert, die Frage ob ein Mensch
noch lebt oder schon tot ist, damit eine Schlüsselfrage unserer Verfassung
dar, sollte da bei Entscheidungen darüber nicht auch eine qualifiziertere
Mehrheit notwendig sein ? Und wäre es nicht auch politisch klug, in einer
solchen Frage, wo es um Grenzen zwischen Leben und Tod, um das Abwägen
von Grundwerten aber auch um die spirituelle Dimension geht, die Stellungnahmen
der Kirchen einzuholen ?
7.
Alle Beteiligten sind überfordert, weil die Widersprüche unauflöslich
sind
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Die Widerspruchsregelung entspricht einer aufgeklärten und reifen Demokratie wie bei uns nicht mehr, hat ihr nie entsprochen. Sie hat auch die bestehenden Widersprüche nie beseitigt, sondern immer nur kaschiert. Aber abgesehen davon ist es an der Zeit ehrlich einzugestehen, daß dieses Gesetz mehr Fragen aufwirft als Antworten gegeben werden können und daß es alle Beteiligten überfordert, weil die Widersprüche unauflöslich sind -- wir sind zu weit gegangen und haben uns verrannt:
Und es ist an der Zeit
Farbe zu bekennen und zuzugeben, daß es kaum noch Organspender geben
würde, wenn die Menschen wüßten, was im Operationssaal des
Krankenhauses wirklich mit ihnen passiert ! Es ist sicher kein Zufall, daß
in Österreich in den letzten Monaten verschiedene Medien dieses Thema
aufgegriffen und damit ein tiefsitzendes Unbehagen artikuliert haben (s. Quellen).
Wir müssen uns daher mit Nachdruck dafür einsetzen, daß derlei
Gesetze aufgehoben werden, daß alle Menschen in Würde sterben können
und daß andere Wege gesucht werden, um kranken Menschen zu helfen. Die
Frau Bundesminister für Gesundheit Rauch-Kallat sprach vor kurzem in
Zusammenhang mit einer neuen Gesundheitspolitik von den Prinzipien Gerechtigkeit,
Eigenverantwortung und Entscheidungsfreiheit, wir würden dem gerne Würde
des Menschen hinzufügen.
Uns ist bewußt, daß die Konsequenzen dieser Erkenntnisse schwerwiegend
sind: Im Verhältnis Gesellschaft - Medizin, aber auch in Bezug auf viele
Patienten, denen damit zunächst die Hoffnung auf Verbesserung ihrer Gesundheit
genommen werden könnte. Mit dem Anspruch auf Ehrlichkeit und in Verantwortung
und in Respekt gegenüber allen Betroffenen, den im Medizinbetrieb Tätigen,
im besonderen aber den Sterbenden, ihren Angehörigen und den um Heilung
bangenden Kranken verantwortungsvoll die notwendigen politischen Entscheidungen
zu treffen ist schwierig, aber unumgänglich.
Es fällt uns wahrlich nicht leicht, dies alle niederzuschreiben, weil
wir daraus keinen Vorteil ziehen, sondern uns bisher bei Verantwortungsträgern
(im Gegensatz zu den einfachen Leuten) überwiegend Anfeindungen und Unverständnis
eingehandelt haben. Wir tun es dennoch aus unserer Verantwortung als Bürger
und im Einsatz für das, wofür unser Verein steht, Menschenwürde
in der Medizin.
Fragen
zum Thema Organentnahmen
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DI Andreas Kirchmair
A- 8572 Piberegg 22
Forsthaus
Quellen:
Bundesgesetz: Entnahme von Organen oder Organteilen Verstorbener zum Zwecke
der Transplantation, 1982
Leserbrief vom 8. Juni 2003 einer Frau in der "Kronen Zeitung",
die im Koma lag und hörte, sie sei ein "ideales Ersatzteillager"
"Für tot erklärt, dem Anschein nach am Leben" (Die Presse
vom 14. Mai 2002, S 23)
"Wann ist der Mensch wirklich tot ? (Die Furche vom 1. Febr. 2001, S
8)
INFORMATION:
In Österreich
ist man automatisch Organspender, solange man sich nicht in das "Widerspruchsregister
für Organentnahme" eintragen hat lassen. Auf der
Homepage von GÖG http://www.goeg.at/de/Widerspruchsregister
kann man sich das Formular für den Eintrag in das Wiederspruchsregister
downloaden.
Weitere
Artikel zu diesem Thema auf unserer Homepage
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