Auszug
aus dem Buch (über Familienaufstellung):
Was die Seele krank macht und was sie heilt
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Der Umgang mit dem Tod
Das Spirituelle kann nicht vom Tod losgelöst gesehen werden. Die Auseinandersetzung mit dem Thema Tod ist in unserer Kultur mit Ängsten verbunden. Oft wird das Leben vom Tod isoliert betrachtet und als ein persönlicher Besitz gesehen, der maximal ausgenutzt werden muss. Doch man kann das Leben auch aus der Perspektive des Todes betrachten. jeder Mensch wird kurzfristig vom Leben in Anspruch genommen, um bald wieder fallen gelassen zu werden. Am Ende des Lebens kehren wir in etwas zurück, über das sich keine Aussage machen lässt. Verglichen mit dem Sein und der Tiefe, aus der wir durch unsere Eltern gekommen sind, ist die Lebensspanne nur etwas Kleines und Vorübergehendes.
Aus diesem Blickwinkel betrachtet, ist der frühe Tod eines Kindes nichts Schlimmes. Sowohl der Mensch, der mit 85 Jahren stirbt, als auch das Kind, das nur ein Jahr alt wird, fallen beide zurück in jenes Sein, über das wir nichts wissen. Auf dieser Ebene sind sie gleich.
Unser tägliches Leben erhält Kraft, wenn wir es im Angesicht der Vergänglichkeit führen. Die Zeit, die man bis zum Tod hat, kann man als ein Geschenk betrachten. Mit dieser Einstellung lässt sich die Lebenszeit ganz anders ausfüllen, als wenn man sein Leben gegen den Tod durchsetzen will, als sei er uns feindlich gesinnt. Wenn wir ihn als Freund begreifen, blicken wir mit Gelassenheit auf die Vergänglichkeit. Mit dieser Einstellung können wir auch dem Tod in der eigenen Familie besser begegnen. Stirbt ein geliebter Mensch, ist es wichtig, dass er einen Platz in unserem Herzen bekommt. Die Würdigung des Toten hat eine gute Wirkung auf alle Mitglieder der Familie.
Die Ablösung kann gelingen, wenn wir den tiefen Abschiedsschmerz zulassen, statt ihm auszuweichen. Fliehen wir vor dem Schmerz, bleiben wir mit dem Toten tief verbunden und versäumen zu leben. Dazu ein Beispiel: Einer Frau war vor 20 Jahren der Mann gestorben, doch es schien, als sei der Tod des Mannes erst gestern eingetreten. Wenn sie von ihrem Mann erzählte, rannen ihr sogleich Tränen über die Wangen. Dem wirklich tiefen Schmerz ist diese Frau immer ausgewichen. Selbst das Zimmer des Toten blieb in allen Einzelheiten unverändert. Sie hatte den Tod ihres Mannes nicht angenommen. Es lässt sich nachvollziehen, dass die Frau keine neue Ehe oder Partnerschaft mehr eingegangen ist. Doch eine solche >Solidarität" nutzt weder dem Toten noch dem Lebenden.
Ein anderes Beispiel: Eine Frau, die schon auf die Vierzig zuging, hatte noch nie sexuellen Kontakt mit einem Mann gehabt. Als sie ein Teenager gewesen war, starb ihr innig geliebter Vater an einer schweren Krankheit. Damals weigerte sie sich, mit zur Beerdigung zu gehen. Sie wollte den Leichnam nicht sehen, weil sie glaubte, den Anblick nicht ertragen zu können. Dadurch hatte sie die Chance verpasst, Abschied zu nehmen. Auch in den Jahren danach war sie kein einziges Mal auf dem Friedhof gewesen. Zwar genügte nach so langer Zeit die Erwähnung des Wortes "Vaters", um heftiges Weinen hervorzurufen, doch handelte es sich nur um eine "sekundäre Trauer". Dieses Weinen stärkt nicht, sondern es schwächt. Die Frau vermochte nicht den Satz zu sagen "Du bist tot, lieber Vater, ich lebe noch eine Weile, dann sterbe ich auch". "Das Wort >tot< kann ich nicht aussprechen", widersprach sie heftig. In der Tat: Nach so langer Zeit war für sie der Vater immer noch nicht im Grab. Sie lebte in Gedanken mit ihm, wie mit einem Lebenden, und es kann nicht wundern, dass kein anderer Mann eine Chance hatte. Zu einem späteren Zeitpunkt schaffte sie es, den Satz zu sagen und den damit verbundenen Schmerz zu fühlen.
Noch im frühen Mittelalter überließen sich die Menschen einer spontanen schmerzvollen Trauer. Was über Karl den Großen berichtet wurde, kann als typisch für die damalige Zeit angesehen werden. Als der Kaiser zum Schlachtfeld in Roncevaux kam, konnte er sich der Tränen nicht erwehren. Als er seinen toten Neffen sah, "bebte er vor Schmerz". Er stieg vom Pferd, umarmte den Leichnam so fest er konnte und brach dann über der Leiche zusammen. Als er wieder zu sich kam, überließ er sich "den leidenschaftlichen Gebärden des Schmerzes". Auch die anwesenden Soldaten fingen laut an zu weinen und schluchzten.
In anderen Trauerberichten aus jener Zeit ist die Rede, dass der Trauernde den Toten "mit aller Kraft an die eigene Brust drückt". Dadurch kam er in Kontakt mit dem Schmerz, der ihm half - wie es ein schönes deutsches Wort ausdrückt - den Tod zu "verschmerzen".
Wie wichtig die unmittelbare Kontaktnahme mit dem Leichnam für den Trauerprozess ist, zeigen die Erfahrungen eines amerikanischen Beerdigungsunternehmers. Er hatte durch die Erlebnisse bei der Beerdigung des eigenen Vaters erfahren, dass sein Berufsstand alles Erdenkliche tut, um den Hinterbliebenen vor seiner eigenen Trauer zu schützen. Er kam zu dem Schluss, dass seine bisherige Arbeit den Trauernden mehr geschadet als genutzt hat.
Nach der Beerdigung seines Vaters übte der Mann seinen Beruf völlig anders aus. Er nahm den Hinterbliebenen nur noch das Allernötigste ab und ermutigte sie, so aktiv wie möglich bei der Beisetzung zu helfen. Gerade dadurch wird jener tiefe Schmerz fühlbar, der die Seele heilt und ein gutes Weiterleben ermöglicht. Zum Beispiel ermunterte der Beerdigungsunternehmer die Trauernden, den toten Körper im Sarg mit den eigenen Händen zu berühren oder doch zumindest die Leiche anzuschauen. Auf diese Weise können wir die Realität des Todes buchstäblich "begreifen". Wer dem Tod auf diese Weise ins Auge schaut, der kann ihn erleben.
Wenn die Trauer eines Hinterbliebenen nicht enden will, so Hellinger, ist er dem Verstorbenen oft noch böse. Dann hilft der Satz: >>Ich achte dein Leben und deinen Tod." Manchmal kommt es auch vor, dass jemand die nicht gelebte Trauer eines anderen Familienmitgliedes übernimmt, oder er schuldet dem Toten noch etwas.
Das
freundliche Gedenken
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Das freundliche Gedenken nach dem Weggang des Familienmitglieds wird möglich, wenn man sich dem tiefen Abschiedsschmerz gestellt hat. Viele weichen diesem Schmerz jedoch aus und trauern über einen langen Zeitraum hinweg. Sie versuchen sich mit der christlichen Vorstellung zu trösten, dass sie dem Toten nach ihrem eigenen Ableben wieder begegnen. Doch ein richtiger Abschied ist nur möglich, wenn wir uns eingestehen, dass wir nichts wissen über das, was danach kommt. Gedanken über ein mögliches Wiedersehen sind nur Vermutungen und verhindern einen guten Abschied.
Wenn der Abschied im Guten nicht gelingt, wird der Tote unnötig belastet. Diese Ansicht findet sich nicht nur bei vielen Dichtern, etwa bei Rainer Maria Rilke, sondern auch in den Weisheiten des Volksmärchens. Das folgende Märchen der Gebrüder Grimm verdeutlicht das.
Das Totenhemdchen
Es hatte eine Mutter ein Büblein von sieben Jahren, das war so schön und lieblich, dass es niemand ansehen konnte, ohne ihm gut zu sein, und sie hatte es auch lieber als alles auf der Welt. Nun geschah es, dass es plötzlich krank ward und der liebe Gott es zu sich nahm; darüber konnte sich die Mutter nicht trösten und weinte Tag und Nacht. Bald darauf aber, nachdem es begraben war, zeigte sich das Kind nachts an den Plätzen, wo es sonst im Leben gegessen und gespielt hatte; weinte die Mutter, so weinte es auch, und wenn der Morgen kam, war es verschwunden. Als aber die Mutter gar nicht aufhören wollte zu weinen, kam es in einer Nacht, in dem Hemdchen, in welchem es in den Sarg gelegt war, und mit dem Kränzchen auf dem Kopf, setzte sich zu ihren Füßen auf das Bett und sprach: "Ach Mutter, höre doch auf zu weinen, sonst kann ich in meinem Sarge nicht einschlafen, denn mein Totenhemdchen wird nicht trocken von deinen Tränen, die alle darauffallen."
Da erschrak die Mutter, als sie das hörte, und weinte nicht mehr. Und in derselben Nacht kam das Kindchen wieder, hielt in der Hand ein Lichtchen und sagte: "Siehst du, nun ist mein Hemdchen bald trocken, und ich habe Ruhe in meinem Grab." Da befahl die Mutter dem lieben Gott ihr Leid und ertrug es still und geduldig, und das Kind kam nicht wieder und schlief in seinem unterirdischen Bettchen.
Beim Lesen dieses Märchens mag einem der Gedanke kommen, dass nicht nur
die Toten in das Reich der Lebenden hineinwirken, sondern auch umgekehrt die
Lebenden in das Reich der Toten.
Auszug
aus dem sehr empfehlenswerten Buch von Thomas Schäfer (über Familienaufstellung):
Was die Seele krank macht und was sie heilt.
Sinn dieser Information (hier klicken)
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Februar 2004
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