Mai 2005 www.initiative.cc

Organhandel


In welche Auswüchse uns das bestehende Gesundheits (Krankheits-) System führt, zeigt der unten stehende erschreckende Bericht. Der illegale Handel mit Organen floriert. Viele Spender stammen aus Moldawien, transplantiert wird auch in Deutschland.
Lesen Sie dazu auch den Artikel "Plädoyer gegen eine ungefragte Organentnahme bei Sterbenden !" auf unserer Homepage.

Operation Niere

Von Martina Keller

Das zweite Leben von David Verlinsky* beginnt im Januar 2002. In einem Krankenhaus in der Türkei erwacht Verlinsky aus der Narkose, eine Krankenschwester reicht ihm ein Glas Orangensaft und einen Teller Kartoffeln. Verlinsky lehnt dankend ab, so wie er es immer gemacht hat, ein Dialysepatient muss strenge Diät halten. Doch die Krankenschwester ermuntert ihn zuzugreifen. Im Körper des 30-Jährigen arbeitet jetzt die gesunde Niere eines anderen Menschen – die Zeit der Verbote ist vorbei.

Der Spender, dem der Patient sein neues Leben verdankt, bleibt ein Fremder. Verlinsky will ihn weder sehen noch sprechen. Er kennt weder seinen Namen noch sein genaues Alter oder sein Geschlecht, Verlinsky hat die neue Niere gekauft. 160000 Dollar hat er einem israelischen Geschäftsmann gezahlt, der das Organgeschäft arrangierte. Er hätte den Handel auch in Südafrika, den USA oder Deutschland abwickeln können, sagt Verlinsky. In den USA allerdings hätte er bis zu 250000 Dollar für eine Niere zahlen müssen. Die Türkei ist billiger.

Verlinsky ist Röntgentechniker von Beruf, 160000 Dollar sind ein Vermögen für ihn. Während der vier Jahre, in denen er auf die künstliche Blutwäsche angewiesen war, hatte er sich den Gedanken an den Nierenkauf streng verboten. Dann kam bei einem Terroranschlag die Tochter eines Arbeitskollegen ums Leben, die Eltern der Toten beschlossen, zum Gedenken an ihre Tochter eine Stiftung zu gründen. Ihr erstes Projekt: eine neue Niere für David Verlinsky.

Wohlhabende Dialysepatienten reisen um die Welt, um eine Niere zu kaufen, was ihnen zu Hause bei Strafe verwehrt ist. Engländer und Deutsche fliegen nach Indien, Japaner in die USA, Nordamerikaner nach Peru oder Brasilien. Der Handel ist professionell organisiert und wird häufig als medizinischer Tourismus deklariert. Da bietet etwa eine amerikanische Beratungsfirma US-Kliniken an, sich für knapp 700 Dollar jährlich bei dem Arab Kidney Transplant Directory in Listen aufnehmen zu lassen. Diese Einrichtung vermittelt Nierenpatienten aus Saudi-Arabien, Qatar oder den Vereinigten Arabischen Emiraten an renommierte Krankenhäuser im Ausland. „Arabische Transplantationspatienten zahlen zwischen 100000 und 500000 Dollar für die Operation“, heißt es in einem im Internet veröffentlichten Werbebrief.

Pro Niere ein Gewinn bis zu 70000 Dollar

In anderen Ländern werden die illegalen Geschäfte kaum verhüllt praktiziert, zum Beispiel in Israel. Dort ist der Kauf einer Niere so normal, dass mancher Kranker erst gar nicht die eigene Familie mit der Bitte um eine Organspende belastet. Der 40-jährige Joshua Rothman* aus Jerusalem beispielsweise wandte sich gleich an einen Broker, nachdem die Ärzte ihm die Diagnose „Nierenversagen“ mitteilten. Rothman zahlte mehr als 100000 Dollar an den Organhändler, der ihm dafür einen israelischen Spender und eine Transplantation in Südafrika vermittelte. Bis zu 150 israelische Patienten, so Schätzungen, kaufen sich jedes Jahr eine Niere. Manche verschulden sich, andere verkaufen Haus und Auto. Wer Glück hat, wird von einer karitativen Einrichtung unterstützt.

Auch die israelischen Krankenkassen sponsern Auslandstransplantationen – mit Billigung des Gesundheitsministeriums. Auf Dauer ist die Dialyse teurer als eine Organverpflanzung mit ihren Folgekosten. So erstatten die Kassen den Patienten den in Israel üblichen Kostensatz einer Transplantation, rund 32000 Dollar. Das ganze Verfahren ist unkompliziert, denn die Krankenkassen betreiben keine Recherche, ob die Transplantation im Ausland womöglich illegal war. Die Patienten müssen lediglich vor einem Notar erklären, wie viel sie an den Broker gezahlt haben. Denn Quittungen sind unüblich.

„Wir wollen keinen Gewinn auf Kosten der Kranken machen“, begründet Alfred Rosenfeld die Kulanz der Kassen. Der 57-Jährige ist stellvertretender Leiter bei Dikla, einem Tochterunternehmen der größten israelischen Krankenversicherung. Rosenfeld verfolgt die Entwicklungen im internationalen Organhandel seit Jahren. Er sagt: „Das ist Big Business.“ Er schätzt den Gewinn aus dem Handel mit einer Niere auf 50000 bis 70000 Dollar.

Dabei ist dieses Geschäft in Israel wie in allen Ländern der westlichen Welt verboten. Nach einer Anweisung aus dem israelischen Gesundheitsministerium dürfen Organe an einheimischen Kliniken nur transplantiert werden, wenn sie aus selbstlosen Motiven gespendet werden. Deshalb haben Patienten und Chirurgen nach anderen Wegen gesucht. Der Nephrologe Michael Friedländer betreut am Hadassah-Universitätskrankenhaus in Jerusalem Patienten, die mit einer gekauften Niere aus dem Ausland zurückkommen. Mehr als 400 dürften es bislang gewesen sein. Die medizinischen Ergebnisse der Transplantationen haben den 60-Jährigen überzeugt: „Gute Resultate liegen im Interesse der Broker. Sonst kriegen sie keine Patienten mehr.“ Aus ärztlicher Sicht sieht Friedländer keinen Grund, seinen Patienten vom Organkauf abzuraten. Unmoralisch findet er lediglich die hohen Summen, die Kranke bezahlen müssen. Um dem Schwarzmarkt bei Nieren ein Ende zu bereiten, plädierte er in der medizinischen Fachzeitschrift The Lancet dafür, die Bezahlung für Organe zu legalisieren: Der Staat könnte nach Friedländers Plänen künftig als Organvermittler auftreten. Er würde den Nierenspendern eine festgelegte Summe zahlen und die gekauften Organe nach medizinischen Kriterien an die Patienten verteilen lassen.

Das lange Zeit Undenkbare ist kein Tabu mehr: So forderte kürzlich Sir Peter Bell, Vizepräsident der britischen Chirurgenvereinigung, Honorar für spendende britische Angehörige. Kommende Woche werden Mediziner während eines großen Kongresses über Transplantation und Ethik in München öffentlich diskutieren.

Dialysepatienten kennen die Namen der Organhändler

Die Auslandsreisen israelischer Nierenpatienten sind eng mit dem Namen Zaki Shapira verknüpft. Der Chirurg gilt als Pionier der Transplantationschirurgie, bis vor einem Jahr war er Chefchirurg am Rabin Medical Center in Tel Aviv. Nebenbei begleitete er jahrelang Nierenkranke zu Transplantationen ins Ausland, insbesondere in die Türkei und nach Osteuropa. Wie man sich diese Reisen vorzustellen hat, ist in einem Bericht der Fachzeitschrift Nephrology, Dialysis, Transplantation nachzulesen. Demnach wurden am 16. und 17. Januar 1998 in Estland sechs israelische Patienten transplantiert. Das Medizinerteam bestand aus Zaki Shapira sowie Spezialisten aus verschiedenen Ländern – Transplantationschirurgen, einem Anästhesisten, einem Nephrologen, einem Immunologen und einem Kardiologen. Die Nierenspender stammten aus Moldawien und Rumänien.

Transplantiert wurde am Tallinn-Zentral-Krankenhaus, einer der führenden Kliniken des Landes. Dass die Ärzte dort noch keinerlei Erfahrungen mit Organverpflanzungen hatten, spielte keine Rolle. Transplanteure waren ja mit den Patienten eingeflogen. Keiner der Nierenspender war verwandt oder befreundet mit den israelischen Patienten. Jeder hatte eine Erklärung unterzeichnet, wonach er seine Niere unentgeltlich gespendet habe. Ein israelisches Unternehmen namens Pariasu hatte die gesamte Reise samt Unterkunft und Visa-Beschaffung organisiert. Die estländische Regierung und Experten der estländischen Gesellschaft für Nephrologie bezeichneten die Operationen als unethisch. Ungesetzlich waren sie nicht, weil es in Estland noch kein Transplantationsgesetz gab. Pariasu verteidigte die Transplantationen als legal. Aufgrund von bürokratischen Verzögerungen in Israel habe man in Estland transplantieren müssen. Man beabsichtige, diese Praxis auf Länder wie die Türkei auszudehnen.

Tatsächlich hat sich die Türkei zwischenzeitlich zu einem zentralen Umschlagplatz für Geschäfte mit Nieren entwickelt. Bei David Verlinsky dauerte es nur zwei Monate vom ersten Kontakt mit seinem Mittelsmann bis zum Abflug. Wie wohl jeder israelische Dialysepatient kannte Verlinsky die Namen und Telefonnummern der drei bis vier Broker, die Organgeschäfte von Israel aus organisieren. Solche Informationen sprechen sich schnell herum. In einer israelischen Tageszeitung bietet zum Beispiel die New Life Company in einer Anzeige „medizinischen Tourismus von Israel aus“ an: „Transplantation von Nieren, vermittelt in Russland… Wir verhelfen Dialysepatienten zu einer legalen Nierenverpflanzung in den besten Krankenhäusern. Finanzielle Beratung, Begleitung durch Dolmetscher, voller Rechtsbeistand. Hilfe bei der Erstattung durch die Krankenkasse.“

Verlinsky flog gemeinsam mit einem Freund in die Türkei, nur seine Mutter und seinen Bruder weihte er ein. Die meisten Patienten sprechen nur ungern über die Transplantation – oder gar nicht. Viele haben Geheimhaltungserklärungen unterschrieben. Andere wollen es sich nicht mit ihrem Broker verderben. Schließlich weiß niemand, ob der Körper das Organ nach einigen Jahren abstößt. Dann muss eine weitere Niere beschafft werden.

Nikolae Birdan erinnert sich ungern an seine Tage in einem Istanbuler Krankenhaus. Birdan lebt im Westen Moldawiens. Sein Heimatdorf Mingir, wo noch Pferdefuhrwerke durch die Gassen rollen, liegt nicht weit von der rumänischen Grenze entfernt. Im Herbst sitzen Frauen und Kinder vor Bergen von Maisstauden und brechen die Kolben heraus. Wenige der 5300 Bewohner haben ein geregeltes Einkommen. Hinter vorgehaltener Hand erzählt man sich, dass junge Leute aus Mingir ihre Nieren verkaufen. Der Gemeindesekretär weiß von 14 Fällen. Nikolae Birdan ist einer von ihnen, 28 Jahre alt, ein kleiner, schlanker Mann mit schüchternem Blick und kräftigen Händen. Vor drei Jahren hatte Nikolae Birdan weder ein Haus noch einen Garten, noch ein Einkommen. Aber er hatte eine Frau und ein kleines Kind und einen kranken Vater zu versorgen.

Geld verdienten er und seine Frau Vera als Erntehelfer. Wie sollte er es zu etwas bringen? Birdan traf einen Nachbarn, der sich gerade ein Auto zugelegt hatte. Der Mann erzählte, dass er eine seiner Nieren verkauft und mit diesem Geld den Wagen bezahlt habe. Er nannte Nikolae auch den Namen der Frau, die ihm das Geschäft vermittelt hatte: Nina U., eine Hausfrau aus Mingir, die selbst eine Niere verkauft hatte und nun als Vermittlerin tätig war.

Nikolae überlegte zwei Monate lang. Dann ging er zu Nina U., die am anderen Ende des Dorfs wohnt. Sie besorgte ihm einen Pass und sagte ihm, er solle sich bereithalten. Eines Nachts kam sie zu seinem Haus: „Es geht jetzt los, pack ein paar Sachen, aber nicht zu viel!“ Ein Auto mit drei anderen Männern aus dem Dorf und einem Fahrer wartete vor der Tür. Der Fahrer des Wagens chauffierte die Männer in die Ukraine. Von dort ging es im Flugzeug weiter nach Istanbul. Mit an Bord war Nina S., Mitte 30, die als Organvermittlerin international gesucht wird. In Istanbul wurden Nikolae und die anderen Männer aus Mingir in einem Appartement untergebracht, in dem schon zwei andere Moldawier wohnten.

Die Spender sollen gut essen, Alkohol ist verboten

Ein Mann, der sich Jakob nennen ließ, versorgte die Moldawier mit gutem Essen. Rauchen und Alkohol waren verboten. Mehrmals wurden die Moldawier in ein Krankenhaus gefahren, wo man sie untersuchte und ihnen Blut abnahm. Später organisierte Jakob eine Busfahrt ans Meer, um die Männer bei Laune zu halten. Schließlich der Anruf: Nikolae solle nach Istanbul zurückkommen. Man hatte einen passenden Patienten gefunden. An einem Sonntag im Juli 1999 wurde er operiert.

Für Vera Birdan folgten nach Nikolaes nächtlichem Aufbruch Wochen der Angst. Nachts schloss sie sich mit ihrem dreijährigen Sohn Viorel ein. Jeden Abend betete sie, dass Gott helfen möge, Nikolae am Leben zu halten. Dann stand er eines Abends vor ihrer Tür.

Nikolae Birdan war nach der Operation fünf Tage im Krankenhaus. Nur im OP sah er kurz jenen Israeli, der nun mit seiner Niere lebt. Am Ende gab ihm Jakob das Geld, 2800 Dollar. Versprochen hatte man ihm 3000 Dollar, aber 200 Dollar wurden davon für das Flugticket abgezogen.

Zu Hause kaufte er sich ein Häuschen: drei kleine Zimmer plus Garten, ein Fahrrad für den sechsjährigen Sohn, ein bisschen Essen und Kleidung – dies alles für eine Niere. Nikolae und seine Familie leben jetzt so wie die anderen Menschen in Mingir: Sie bauen Gemüse und Wein an und verdienen ein bisschen Geld nebenbei. Gelegentlich hat Nikolae Schmerzen an der Operationsnarbe. Doch für einen Arztbesuch fehlt das Geld.

Das Notfallkrankenhaus in Moldawiens Hauptstadt Chisinau ist die wohl modernste Klinik im Land. Dumitru Mastak ist Leiter der Dialyseabteilung, ein freundlicher Mann, der einen Nierenverkäufer auch schon mal unentgeltlich behandelt. Zwei Patienten hat er bislang untersucht, für einen der beiden sieht es nicht gut aus. „Der Mann wird über kurz oder lang die künstliche Blutwäsche benötigen“, sagt Mastak. Zwar leben Menschen, die eine Niere gespendet haben, laut einer skandinavischen Studie sogar länger als Durchschnittsbürger. Doch das dürfte daran liegen, dass in westlichen Ländern nur vollkommen gesunde Menschen Organe spenden dürfen, sodass unvorhergesehene Komplikationen sehr selten bleiben. Anders die Situation bei illegalen Transplantationen – wie gründlich moldawische Nierenverkäufer in der Türkei auf Erkrankungen gecheckt werden, weiß niemand genau zu sagen. Nach der Operation sieht kaum ein moldawischer Nierenspender noch einmal einen Arzt, während in Deutschland lebenslange Kontrollen gesetzlich vorgeschrieben sind.

Ein Fernseher und eine lange Narbe als Erinnerung

Die moldawische Journalistin Alina Radu hat 31 Fälle von Organhandel in Mingir, Susleny und der Hauptstadt Chisinau aufgedeckt. Die meisten Männer haben ihr Geld nicht so umsichtig angelegt haben wie Nikolae Birdan. Mihail Istrati aus einem Dorf nördlich der Hauptstadt wurde von Verwandten um viel Geld gebracht. 400 Dollar nahm ihm allein der Organ-Broker im Dorf ab. Als Istrati sein Geld zurückforderte, drohte ihm der Mann: „Frag nie nach Geld, oder ich bring dich um.“ Dem 28-Jährigen blieben nur ein neuer Fernseher und die 25 Zentimeter lange Narbe als Erinnerung an die Operation. Auch Birdan, inzwischen Hausbesitzer, bereut seinen Schritt. Als ihn vor einiger Zeit junge Männer aus dem Dorf besuchten, weil sie von ihm Tipps für den Nierenverkauf wollten, antwortete er: „Macht es nicht. Es schadet dem Körper.“

Die Akademiker unter den Befürwortern des Organhandels sehen das anders. „Je ärmer ein potenzieller Verkäufer, umso wahrscheinlicher ist es, dass der Verkauf seiner Niere jedes Risiko lohnt“, schrieb etwa die britische Philosophin Janet Radcliffe-Richards mit anderen Autoren im Fachblatt The Lancet. Auch den Reichen verbiete ja niemand einen gefährlichen Freizeitsport oder einen hoch dotierten, riskanten Job. Da sei es schwer einzusehen, warum man nun gerade die Armen vor sich selbst schützen müsse.

Diese Einschätzung hat allerdings nur wenig mit der Realität zu tun, wie eine kürzlich in der medizinischen Fachzeitschrift JAMA publizierte Studie nachwies. Die Autoren untersuchten die ökonomischen und gesundheitlichen Folgen des Organhandels in Indien: 305 Nierenverkäufer waren sechs Jahre nach der Operation über ihre soziale Lage befragt worden. Fast alle hatten ihre Niere verkauft, um Schulden zu bezahlen. Im Durchschnitt waren ihnen 1410 Dollar für ihr Organ versprochen worden, aber sie bekamen nur 1070. Die meisten gaben das Geld zwar aus, um Schulden zu bezahlen. Drei Viertel der Spender waren zur Zeit der Befragung jedoch noch immer verschuldet. 86 Prozent der Befragten berichteten, ihr Gesundheitszustand habe sich nach der Nierenentnahme verschlechtert. Die allermeisten raten jetzt vom Verkauf einer Niere ab.

Der 56-jährige Mordechai aus Jerusalem, der seinen Nachnamen nicht in der Zeitung lesen will, wäre bereit gewesen, fast jeden Preis für eine Niere zu zahlen. Mehrere Kopfoperationen hat der ehemalige Angestellte der israelischen Telefongesellschaft schon überstanden, ein Tumor an der rechten Schläfe wuchs immer wieder nach. Während der dritten Operation führten seine langjährigen Nierenprobleme zu einem vorübergehenden Herzstillstand. Mordechai war klinisch tot. Als er ins Leben zurückkehrte, schlossen ihn die Ärzte an die Dialysemaschine an. Mordechai sagte zu seiner Frau Sarah: „Lieber will ich sterben, als so weiterzuleben.“

Sarah und Mordechais Sohn Tamir begannen nach einem Nierenspender zu suchen. In der engeren Familie sei niemand infrage gekommen, sagt Tamir. Sarah sei bereit gewesen zu spenden, aber bei ihr und den drei Kindern hätten die Blutgruppen nicht gepasst. Die Familie beauftragte einen Broker, nach einem Nierenspender zu suchen. Zugleich forschten Sarah und Tamir in der weiteren Verwandtschaft. Schließlich fanden sie den Sohn eines Cousins von Sarah. Der war bereit zu spenden, allerdings nur gegen Bares.

Mordechais Familie zahlte ihm knapp 7000 Dollar, als Entschädigung für seine Kosten, wie Tamir sagt. Das ist mehr als das Doppelte von dem, was ein Moldawier für sein Organ bekommt. Aber es ist deutlich weniger, als israelische Spender erhalten, die mit einem Patienten zur Transplantation ins Ausland reisen – rund 20000 Dollar. Mordechai kann also zufrieden sein, während der 28-jährige Spender heute nach Aussage von Vater und Sohn unter Depressionen leidet. „Vielleicht findet er, dass er einen schlechten Handel gemacht hat. Vielleicht ist es, weil er einen Teil seines Körpers verkauft hat“, sagt Tamir. Was der Spender selbst meint, bleibt ein Geheimnis, denn Vater und Sohn lehnen es ab, ein Gespräch mit ihm zu vermitteln. Der wolle alles vergessen und nicht mehr über die Sache reden, sagt Tamir.

Transplantation in Deutschland

Mordechai konnte wählen, in welchem Land er transplantiert werden wollte. Sein Mittelsmann schlug ihm Russland vor und die Türkei. Wegen seiner angeschlagenen Gesundheit entschied er sich aber schließlich für eine Klinik, die den Ruf genießt, selbst bei komplizierten Fällen helfen zu können: das Universitätsklinikum Essen. Im April 2001 wurde Mordechai transplantiert. Der Vermittler hatte ihn und seinen Nierenverkäufer auf die Gespräche mit den Psychosomatikern in Essen vorbereitet. Um den Verdacht des Organhandels auszuschließen, versuchen diese Experten herauszufinden, wie es um die Beziehung zwischen Spender und Empfänger steht. Sie fragen zum Beispiel, wie oft die beiden sich sehen, was sie gemeinsam unternehmen. Bei Mordechai und seinem Spender hatten die Prüfer offenbar keine Bedenken. Dabei ist der Kontakt der beiden mehr als locker. Seit der Operation haben sie nur telefoniert. Von den 7000 Dollar erzählten sie den Psychologen selbstverständlich nichts.

Mordechai blieb nach der Transplantation noch in Deutschland, um seine Kopfgeschwulst bestrahlen zu lassen. Für beides zusammen zahlte die Familie dem Vermittler rund 100000 Dollar. Ein guter Kompromiss, meint Tamir. Hätten sie den Organspender nicht selbst gefunden, wäre das Ganze teurer geworden. Die Familie legte zusammen, Arbeitskollegen spendeten für Mordechai, und auch die Krankenkasse gab etwas dazu.

Der Mann, der Mordechai nach Essen vermittelte, heißt Shmuel Friedland. Eigentlich ist Friedland Augenarzt in Tel Aviv. Seit einigen Jahren engagiert er sich aber auch auf anderem Gebiet. Zum Beispiel versuchte er mit Unterstützung des Jerusalemer Gesundheitsministeriums, israelische Nierenpatienten nach Jekaterinburg in Russland zu bringen, wo israelische Chirurgen ihnen die Organe von verstorbenen Russen transplantieren sollten. Das Projekt scheiterte, der russische Schnee ließ zuverlässigen Krankentransport nicht zu. Erfolgreicher ist Friedland in seiner Arbeit für israelische Versicherungen. Er verschafft Patienten Kontakte nach Deutschland oder in andere Länder, wo sie die Behandlung bekommen, die sie benötigen. Zu Friedlands Klienten zählen nicht nur Transplantationskandidaten, sondern auch Krebskranke, Herzpatienten oder Menschen mit orthopädischen Problemen. In Deutschland schickt er seine Patienten zum Beispiel nach Bochum, Krefeld, Düsseldorf, München oder Bad Oeynhausen.

Doch es gibt Hinweise, dass Friedland nicht nur legale Operationen koordiniert. Nach Aussage von Amos Canaf, Vorsitzender der Vereinigung der Nierenpatienten in Israel, vermittelt er auch Patienten nach Deutschland, die sich ihr neues Organ gekauft haben. Es handele sich dabei vornehmlich um Nierenkranke, bei denen „die Begleitumstände schwierig und die Aussichten auf Komplikationen besonders hoch sind“, sagt Canaf. So wie bei Mordechai. Sehr viele Nierenkäufe würden allerdings nicht in Deutschland abgewickelt. Deshalb sei es schwierig, unter den Klienten von Friedland einen auskunftsfreudigen Gesprächspartner zu finden, sagt Canaf: „Die Patienten haben Sorge, dass er herausfindet, wer ihn angeschwärzt hat.“ Shmuel Friedland, mit diesen Vorwürfen konfrontiert, versichert, er bekomme lediglich von Versicherungen Geld, nicht aber von Patienten. Er helfe seinen Kunden auch nicht, einen Spender zu finden. Das Essener Ethikkomitee habe er dazu aufgefordert, seine Patienten sorgfältig zu prüfen und in zweifelhaften Fällen abzulehnen. Im Übrigen sei es für Nierenkranke sinnlos, sich für ein Organgeschäft ausgerechnet den Hochlohnstaat Deutschland auszusuchen: „Sie würden nach Südafrika gehen und es dort zum halben Preis bekommen.“

Der Essener Cheftransplanteur Christoph Broelsch kennt Shmuel Friedland persönlich und bezeichnet die Vorwürfe gegen ihn als „eine sehr gefährliche und böswillige Unterstellung“. Allerdings geriet der Chirurg, bekannt geworden als Operateur von Bundespräsident Johannes Rau, im Zusammenhang mit einer umstrittenen Transplantation in die Schlagzeilen. Vor gut einem Jahr stellte sich ein israelischer Patient in Essen zur Transplantation vor. Er kam mit einem moldawischen Spender, angeblich einem Vetter. Die Essener Psychosomatiker zweifelten sehr an den Gefühlsbanden zwischen den Antragstellern. „Diese und auch andere Bedingungen waren nicht erfüllt“, sagte seinerzeit Wolfgang Senf, ärztlicher Direktor der Klinik für Psychotherapie und Psychosomatik. Zum Beispiel machten Spender und Empfänger unterschiedliche Angaben über ihre verwandtschaftlichen Beziehungen.

Die Lebendspende-Kommission der Ärztekammer Nordrhein prüfte aufgrund des Gutachtens der Psychosomatiker den Fall nicht mehr selbst und lehnte die Transplantation ab. Der prominente Transplanteur Broelsch allerdings gab sich damit nicht zufrieden. Am 26. November telefonierte er mit einem alten Freund in Jena, dem Chirurgen Johannes Scheele. Wenige Tage später, am 3. Dezember, stellte sich der israelische Patient mit seinem moldawischen Spender in Jena vor. Noch am selben Tag stimmten die dortigen Psychologen der Operation zu, auch die rasch zusammengetrommelte Lebendspende-Kommission der Uni hatte keine Einwände. Eine unabhängige Kommission, wie sie das Gesetz vorschreibt, existierte damals in Thüringen noch nicht. Nur drei Tage später lagen Patient und Nierenspender auf Operationstischen. Einer der beiden Operateure: Christoph Broelsch. Er habe sich seinen Patienten verpflichtet gefühlt, begründete er sein ungewöhnliches Engagement.

Nach der Transplantation tauchte ein anonymer Brief auf, in dem Vorwürfe gegen Broelsch erhoben wurden. Es bestehe „der hochgradige Verdacht, dass er sich am Organhandel beteiligt hat“, heißt es darin. Broelsch wies schon damals jede Verwicklung in Organgeschäfte entschieden zurück. Von der ZEIT nochmals auf den Jena-Fall angesprochen, sagte er: „Sie wollen auf etwas hinaus, was mir zutiefst zuwider ist.“

Bislang gibt es keine Beweise, dass der israelische Patient seinen Organspender bezahlt hat. Doch weitere Merkwürdigkeiten geben zu denken. Der israelische Patient und Shmuel Friedland logierten im Essener Sheraton, der mittellose Vetter aus Moldawien nicht. Dieser Mann hatte gegenüber der Universitätsklinik Essen eine falsche Adresse in Moldawien angegeben. Im Visumsantrag verschwieg er außerdem den wahren Zweck seiner Reise nach Deutschland. Vielmehr reiste er als Lkw-Fahrer ein und gab als Kontaktadresse eine Firma in Bebertal an, die Import- und Exportgeschäfte mit Moldawien abwickelt. Der ermittelnde Staatsanwalt beabsichtigt vor dem Hintergrund der neuen Erkenntnisse, gegen den Moldawier und den Israeli ein Ermittlungsverfahren einzuleiten. Insgesamt haben sich mehr als 20 israelische Patienten zur Transplantation in Essen vorgestellt. Mehrere brachten moldawische Organspender mit, einige davon wurden auch transplantiert.

Shmuel Friedland hat nach eigener Aussage sieben bis acht Patienten zur Lebendspende nach Essen vermittelt. Waren illegale Organgeschäfte darunter? Er selbst bezeichnet das als ausgeschlossen. Nach der Statistik des israelischen Krankenkassen-Managers Rosenfeld wurden in den vergangenen zwei Jahren sieben gekaufte Nieren in Deutschland transplantiert, alle in Essen. Die Patienten hätten gegenüber einem Notar oder Anwalt erklärt, dass sie an die 145000 Dollar an ihren Vermittler gezahlt hätten, so Rosenfeld. Außerdem seien sie mit nichtverwandten Spendern nach Deutschland gereist. Solche Transplantationen, sagt Rosenfeld, seien in Deutschland vermutlich nicht erlaubt. „Tatsache ist aber, dass die Leute gehen.“ Die Kommissionen vor Ort seien wohl nicht allzu streng. „Ich könnte Ihnen eine Niere spenden und Sie mir, das wäre nicht schwierig.“

Nach Auskunft des Essener Professors Christoph Broelsch zahlen die israelischen Patienten seiner Universitätsklinik lediglich eine Pauschale von 57000 Euro für die Lebendspende-Transplantation. Nimmt man die Kosten für den Nierenspender hinzu, kommt man auf rund 70 000 Euro insgesamt. Broelsch versichert auf Nachfrage, dass kein Geld an ihn persönlich gezahlt wird. Nun muss der Staatsanwalt ermitteln: Wer bekommt die Differenz zu den 145000 Dollar, die Patienten nach Angaben von Rosenfeld gegenüber einem Notar deklariert haben?

*Name von der Redaktion geändert

Quelle : Die Zeit 50/2002


INFORMATION:

In Österreich ist man automatisch Organspender, solange man sich nicht in das "Widerspruchsregister für Organentnahme" eintragen hat lassen. Auf der Homepage von GÖG http://www.goeg.at/de/Widerspruchsregister kann man sich das Formular für den Eintrag in das Wiederspruchsregister downloaden.

Weitere Artikel zu diesem Thema auf unserer Homepage

Sinn dieser Information (hier klicken)


INITIATIVE Information - Natur - Gesellschaft , A-4882 Oberwang

Homepage: www.initiative.cc